Villeneuve kritisiert Formel1-Szene

"Baby-Piloten": Jacques Villeneuve

macht sich Sorgen um die Sicherheit

Am kommenden Wochenende gastiert die Formel 1 auf dem Circuit Gilles Villeneuve in Montreal. Der kanadische Rennkurs trägt den Namen des früheren Grand-Prix-Helden, der vor 30 Jahren bei einem Unfall in Zolder ums Leben gekommen war. Sein Sohn Jacques holte das nach, was dem Vater in seiner viel zu kurzen Karriere nie vergönnt war: Er wurde Formel-1-Weltmeister. Der mittlerweile 41-Jährige agiert am Rennwochenende als Co-Kommentator von 'Sky Sports F1'.

Die Zuschauer des Senders dürfen sich schon jetzt auf kernige Aussagen freuen. Jacques Villeneuve gilt seit jeher als Charakterkopf, der seine Meinung schonungslos ausdrückt. Einige Kostproben lieferte der Champion am Mittwoch vor dem Rennen. "Ich bin kein allzu grosser Fan von der aktuellen Formel 1. Wegen der Reifen ist mir das alles zu wenig vorhersehbar. Die Fahrer können kaum etwas tun. Die Reifen funktionieren plötzlich nicht und man kann nichts machen", so Villeneuve. "Das entspricht nicht den Standards in der Königsklasse. Es sollte berechenbarer sein", meint der Kanadier. "Es ist schön, dass man mal einen Underdog siegen sieht. Aber so etwas sollte eben nur selten passieren. Im Moment passiert es aber ständig", kritisiert er. "Teams und Piloten aus dem Mittelfeld sind urplötzlich vorne, weil zufällig mal alles passt. Die Topteams können nichts dagegen unternehmen. Das ist doch nicht logisch. Die Besten sollten gewinnen."

Nicht nur die Unberechenbarkeit ist dem Ex-Formel-1-Star ein Dorn im Auge. Auch die jungen Piloten stehen in der Kritik. "Ich finde es seltsam, was man heutzutage für respektvollen Umgang hält und was nicht. Es scheint diesbezüglich beim Rennfahren keine Einigkeit zu geben", schildert Villeneuve seine Sicht. Es herrsche grosse Gefahr. "Alle vergessen heutzutage, dass die Formel 1 gefährlich ist. Die denken alle, es sei ein Videospiel."

Fahrer unterschätzen die Gefahren

Es habe in den vergangenen Monaten immer wieder Unfälle gegeben, die mit etwas weniger Glück schlimm hätten ausgehen können. "Alle berufen sich immer wieder auf die Regel, dass man die Linie einmal wechseln darf. Aber es gibt einen Punkt, an dem ein solcher Linienwechsel zu spät ist. Dann wird es gefährlich. Und das vergessen viele", meint Villeneuve. "Es liegt vieles auch an den Rennkommissaren. Manche Dinge bestrafen sie gar nicht, andere Dinge bestrafen sie in falscher Form."

Der 41-Jährige nennt Beispiele: Nico Rosbergs Defensivtaktik in Bahrain, Heikki Kovalainens harter Kampf in Monaco gegen Jenson Button, das Verhalten der Sauber-Piloten in China. Auch die Fahrt von Bruno Senna im Zweikampf mit Michael Schumacher in Barcelona sei nicht sauber gewesen. "Senna ist dort ein ganz anderes Rennen gefahren. Er war unfassbar langsam und hat die Leute blockiert, die um Punkte gekämpft haben. Das nenne ich nicht gerade intelligentes Fahren", sagt er und wundert sich, dass sein Ex-Rivale Schumacher bestraft wurde.

"Es gibt keinen Respekt untereinander. Ich denke, als vor 20 oder 30 Jahren das Risiko für Leib und Leben deutlich höher war, da gab es noch einen gewissen Respekt. Damals waren Leute unterwegs, die hart für ihre Teilnahme an solchen Rennen gekämpft hatten", beschreibt Villeneuve. "Früher gab es das nicht, dass zwölfjährige Jungs eine komplette Finanzierung für den Rennsport gesichert hatten. Damals musste man sich dies alles mit Schweiss erarbeiten. Damals waren keine kleinen Jungs unterwegs. Heutzutage sind es Babys."

Diese unbedarfte "Videospiel-Mentalität" sei eine grosse Gefahr. Viele aktuelle Piloten gehen laut Villeneuve ein zu hohes Risiko ein. Man verhalte sich zwar meist den Regeln entsprechend, aber nicht verantwortungsbewusst. "Eines Tages wird etwas passieren. Dann wird ein Haufen neuer Regeln kommen, eine klare Überreaktion folgt", meint der erfahrene Kanadier. "Es ist eben kein Videospiel. Es ist sehr, sehr gefährlich. Und es ist hart."

Frühere Erzrivalen loben Schumacher


Totgesagte leben länger: Viele haben Michael Schumacher nach zwei durchwachsenen Comeback-Saisons an der Seite von Nico Rosberg bei Mercedes bereits abgeschrieben, doch 2012 präsentiert sich der siebenmalige Weltmeister teilweise in Topform - wenn auch meistens unglücklich. In Monte Carlo gewann er sogar erstmals wieder ein Qualifying, doch wegen einer Plus-Fünf-Strafe stand er trotzdem nicht auf Pole-Position.

Dass die Leistungen insgesamt deutlich besser geworden sind, anerkennen aber sogar ehemalige Rivalen wie zum Beispiel Jacques Villeneuve, dem Schumacher beim legendären WM-Finale von Jerez de la Frontera 1997 (erfolglos) in den Williams gefahren ist: "Michael schlägt sich dieses Jahr grossartig", lobt der 41-Jährige, der seine Formel-1-Karriere im Jahr 2006 nicht ganz freiwillig beenden musste, gegenüber 'Autosport'.

Ingenieur für Erfolg mitverantwortlich?

"Michael fährt dieses Jahr besser, wie in seinen besten Tagen", findet Villeneuve. "Er war schon das ganze Jahr beeindruckend, und in Monaco konnte man das sehen. Er hatte schon mächtig Pech in dieser Saison, aber er hat immer wieder zurückgeschlagen." Den Grund dafür glaubt er auch zu kennen: "Er fährt besser, seit er mit Jock Clear zusammenarbeitet." Der war nämlich nach Andrew Shovlin interimistisch für den Schumacher-Mercedes zuständig, ehe Peter Bonnington übernahm. "Das zeigt, dass du da draussen nicht allein sein kannst", analysiert Villeneuve die Zusammenarbeit zwischen Schumacher und Clear, der bei Williams und BAR noch sein eigener Vertrauens-Renningenieur war. "Du brauchst den richtigen Ingenieur, dem du vertrauen kannst und der dich versteht." Rennfahren sei nämlich auch psychologisch, und ein intaktes Verhältnis zum Renningenieur mache einen "riesigen" Unterschied: "So hatte es Michael bei Benetton und Ferrari, und mit Jock scheint er diese Unterstützung wieder gefunden zu haben. Verständnis zeigt er auch dafür, dass Schumacher mit der aktuellen Formel 1 und insbesondere mit den Pirelli-Reifen nur mühsam zurechtkommt: "Wenn dir das Auto nicht liegt, kannst du nicht dagegen ankämpfen", weiss Villeneuve. "Du kannst der beste Fahrer der Welt sein, aber wenn sich das Auto für dich nicht richtig anfühlt und das Fahren nicht natürlich ist, wird es sehr schwierig, diese letzten zwei, drei Zehntel herauszuquetschen."

Montreal eine Mercedes-Strecke?

David Coulthard, ebenfalls ein ehemaliger Schumacher-Rivale, glaubt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis der Mercedes-Pilot wieder ganz vorne steht: "Kann Michael in Kanada gewinnen? Auf Basis dessen, was wir in Monaco gesehen haben, kann er das, ja." Denn der heutige Mercedes-DTM-Fahrer glaubt, dass die Strecke in Montreal aufgrund der Stärken des Silberpfeils (vor allem DRS und Traktion) für den F1 W03 wie maßgeschneidert sein müsste. Gerade in Montreal, wo Schumacher schon 2011 erstmals wieder am Podium geschnuppert hat, könnte der Zeitpunkt richtig sein, um endgültig den Durchbruch zu schaffen: "Michael hat in Monaco bewiesen, dass er immer noch den Speed hat, um ganz vorne zu stehen, wenn die Umstände passen", schreibt Coulthard in seiner 'Autosport'-Kolumne. "Ich finde, dass es noch nie eine bessere Zeit für einen 43-jährigen Sieger in der Formel 1 gegeben hat."

Schumacher glaubt an seine Chance

Schumacher selbst, dem siebenmaligen Weltmeister, würde es gefallen, im siebten Saisonrennen der siebte Sieger zu werden: "Ich mag die Sieben", lächelt er, "und Montreal kommt unserem Auto sicher entgegen. Wir haben schon in Monaco gesehen, dass wir stark sein können, und hier ist die Situation ähnlich. Ich bin sehr zuversichtlich. Wenn man sich das Comeback vom Anfang bis jetzt anschaut, dann waren wir sicher noch nie so nahe an einem guten Ergebnis wie jetzt. Seit Malaysia waren wir eigentlich immer ziemlich gut", fügt er an. "Wir haben das Auto sehr gut verstanden und haben seither konstante Rennen abgeliefert. Es geht nur darum, das Auto zu verstehen und das Maximum herauszuholen." Für das kommende Wochenende ist Schönwetter angesagt, trotzdem glaubt Schumacher, dass besonders die Temperaturen wieder ein entscheidender Faktor sein könnten. "Du kannst das Auto am Samstag feintunen, aber du darfst für Sonntag nichts mehr ändern. Also musst du schätzen, wie das Wetter wird", erklärt der Deutsche. "Nehmen wir China: Fünf Grad Streckentemperatur haben plötzlich alles zu unseren Gunsten gedreht, obwohl es davor nicht so toll ausgesehen hat. Bekommen wir dieses Wochenende so eine Chance? Wir das Wetter so beständig wie vorhergesagt? Das ist die Frage."

7.6.2012