Marussia will Platz zehn verteidigen

Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erzählen. Davon kann auch Marussia ein Lied singen. "Nach einer Woche in der Heimat reisen wir wieder in den fernen Osten. Wir freuen uns sehr auf Suzuka, auch wenn die Wetterbedingungen die Anreise sehr interessant machen könnten", sagt Teamchef John Booth. Ein Taifun hat die Anreise der Teammitglieder im wahrsten Sinne des Wortes durcheinandergewirbelt, mehrere Mitarbeiter warten in Nachbarländern auf die Weiterreise nach Japan.

Sicherheitshalber wird sich Marussia auch am Rennwochenende auf stürmische Zeiten vorbereiten: "Es ist noch zu früh, um einzuschätzen, wie uns das am Wochenende beeinflussen wird, aber wir ziehen es als Möglichkeit in Betracht", so Booth. Für Charles Pic ist es erst der zweite Aufenthalt in Japan. "Ich war 2011 zum ersten Mal in Japan, um mir ein Rennen anzusehen. Damals habe ich gehofft, zwölf Monate später am Rennen teilzunehmen, und nun bin ich wieder da und mache genau das!", freut sich der Franzose. Bei der Rückkehr möchte Pic etwas mehr über Land und Leute kennenlernen: "Mein Besuch war recht kurz, ich habe Tokio nur auf der Durchreise kennengelernt und daher gehofft, bei der Rückkehr etwas mehr Zeit zu haben, um Japan zu entdecken, denn ich liebe die Stadt und das Land." Im Fokus steht für Pic jedoch die Arbeit auf der Rennstrecke, die für ihn wieder einmal Neuland ist: "Was ich bisher von der Rennstrecke gesehen habe, gefällt mir. Es wird wieder eine neue Herausforderung sein, dort zum ersten Mal zu fahren, doch ich glaube die schwierigste neue Strecke liegt mit dem Nachtrennen in Singapur nun hinter mir. Hier wird meine Vorbereitung ähnlich wie bei den anderen Strecken in Übersee verlaufen", so Pic.

Marussia auf dem richtigen Weg

Teamkollege Timo Glock hofft, an seine Leistung aus Singapur anzuknüpfen, wo er starker Zwölfter wurde - auch wenn beide Strecken nicht miteinander vergleichbar sind: "Suzuka ist eine völlig andere Strecke als beim Rennen in Singapur und hat viele schnelle Kurven. Wir müssen abwarten, wie gut das Auto dort ist", so Glock, der jedoch zuversichtlich ist: "Wir haben für dieses Rennen einige Neuentwicklungen, mit denen wir das Auto an die Strecke anpassen wollen. Ich hoffe, wir machen einen weiteren Schritt nach vorne und werden in der Lage sein, mit unseren unmittelbaren Gegnern zu kämpfen und den Abstand zur Spitze zu verringern. "Es wird für das Team wieder ein anstrengendes Rennen, denn eine Woche danach geht es nach Korea. Obwohl das Rennen in Singapur logistisch und betrieblich eine grosse Herausforderung war, war das Resultat für alle im Team ein Motivationsschub", sagt der 30-Jährige. "Es war schön zu sehen, dass sich die harte Arbeit in diesem Jahr endlich ausgezahlt hat." Mit seinem zwölften Platz beförderte der Deutsche sein Team auf Platz zehn in der Konstrukteurswertung, was sich am Saisonende in barer Münze auszahlen könnte.

Ersatzfahrer Chilton erstmals beim Team

"Der Start in das letzte Saisondrittel war sehr positiv", meint auch Teamchef Booth. "Es war fantastisch, den zehnten Platz in der Konstrukteursmeisterschaft zurückzuerobern, jetzt müssen wir bis Brasilien darum kämpfen. Glücklicherweise haben wir mit Timo und Charles zwei starke Fahrer und dank der kontinuierlichen Entwicklungsarbeit unseres technischen Teams sollten wir dazu in der Lage sein." Auch die Fahrer kämpfen für dieses Ziel: "Ich hoffe, wir werden in Suzuka wieder ähnlich stark sein und können den zehnten Platz in der Meisterschaft verteidigen", sagt Glock, während Pic meint: "Es ist eine wichtige Phase für das Team, wir müssen gemeinsam daran arbeiten, den zehnten Platz zu sichern. Das wird in den kommenden Rennen das Hauptziel sein, hoffentlich kann ich mit starken Leistungen meinen Teil dazu beitragen."

Grundsätzlich sieht Booth sein Team aber für die Zukunft gut aufgestellt: "Was unsere Weiterentwicklung betrifft, sind wir in einer stärkeren Position als je zuvor. Als ehrgeiziges Team freuen wir uns darauf, jetzt die entscheidenden Schritte für die kommende Saison und darüber hinaus zu machen." Dazu gehört auch eine personelle Verstärkung: "Wir freuen uns auch darauf, dass Max Chilton erstmals in seiner neuen Rolle als Ersatzfahrer beim Team sein wird", so Booth. Der britische GP2-Pilot wird das Team bis zum Saisonende bei allen Rennen begleiten. "Er ist sehr motiviert, will eng mit dem Team zusammenarbeiten und in dieser Zeit möglichst viel lernen", sagt der Teamchef.

Chilton: "Man braucht Talent und Geld"


Max Chilton schickt sich an, im kommenden Jahr ein Stammcockpit in der Formel 1 zu ergattern. Der 21-jährige Brite, der in diesem Jahr die GP2-Serie mit zwei Saisonsiegen als Gesamtvierter abgeschlossen hat, wurde vor wenigen Tagen als offizieller Test- und Ersatzfahrer des Marussia-Teams vorgestellt. Es wird erwartet, dass Chilton noch in dieser Saison seinen ersten Einsatz als Freitagsfahrer absolvieren wird. Für die Saison 2013 dürfte der Brite das Cockpit des aller Voraussicht nach in Richtung Caterham wechselnden Charles Pic übernehmen und Teamollege von Timo Glock werden.

Beim Young-Driver-Test im Juli in Silverstone saß Chilton erstmals für Marussia im Formel-1-Cockpit, nachdem er im November 2011 in Abu Dhabi für Force India sein Testdebüt in der Königsklasse gegeben hatte. Chiltons Weg dorthin war allerdings ein ungewöhnlicher, denn im Gegensatz zu den meisten seiner Fahrerkollegen begann der Brite seine Rennfahrerkarriere nicht in einer der zahlreichen Einsteigerklassen im Formelsport. "Ich begann direkt in der Formel 3", erinnert sich Chilton im Gespräch mit 'Autosport' an seine erste Formel-Saison 2007, nachdem er zuvor zwei Jahre lang in der britischen T-Car-Serie - einer inzwischen nicht mehr existenten Einsteigerklasse in den Tourenwagensport - aktiv war. "Anfangs war ich wohl noch nicht bereit, doch in meinem dritten Jahr fühlte ich mich dann wohl und hatte die entsprechende Erfahrung", blickt der heute 21-Jährige auf seine Zeit in der Britischen Formel-3-Meisterschaft zurück und fügt hinzu: "In der GP2-Serie war es genauso. Das erste Jahr war schwierig, aber ich habe mich als Fahrer entwickelt."

Auf der Insel schneller als Ricciardo

"Heute sehe ich mich auf einer Stufe mit den Fahrern, die einen Titel gewinnen konnten", so Chilton, der seiner ersten Meisterschaft noch hinterherfährt. Die grösste Stärke des Briten stellt dessen langjähriger Teamchef Trevor Carlin wie folgt heraus: "Seine Leistungen im Qualifying sind absolut überragend. In der Formel 3 war er im Qualifying zuweilen sogar schneller als Daniel Ricciardo und das ist keine schlechte Sache". Für Carlin bestritt Chilton eine Saison in der Britischen Formel-3-Meisterschaft (2009) und zwei GP2-Jahre (2011 und 2012). Sein Debüt in der Aufsteigerklasse zur Formel 1 gab Chilton im Jahr 2010 im Ocean-Team. Nach insgesamt drei Jahren, die er auf den Gesamträngen 25, 20 und vier abschloss, kommt der Brite zum Schluss: "Ich habe das Gefühl, dass ich in der GP2 alles gelernt habe. Das habe ich vielleicht nicht immer gezeigt, doch nach dem Sieg in Singapur ist für mich nun der richtige Zeitpunkt gekommen, aufzusteigen." Teamchef Carlin sieht es genauso: "Max ist absolut bereit für die Formel 1. Die aktuellen GP2-Autos sind genauso schnell wie die Formel-1-Autos am hinteren Ende der Startaufstellung. Dank der Servolenkung ist ein Formel-1-Auto wahrscheinlich sogar einfacher zu fahren. Ich glaube, er wird sich sehr gut verkaufen."

Vater Grahame zieht im Hintergrund die Fäden

Chilton ist überzeugt, dass Marussia für den Einstieg in die Königsklasse genau das richtige Team ist. "Marussia besitzt von allen Teams das grösste Potenzial, um nach vorn zu kommen. Es ist ein gutes Team, das ohne Weiteres den Sprung ins Mittelfeld schaffen kann und für mich ein guter Ort, um zu lernen." Im Zusammenhang mit seinem Aufstieg hilft Chilton nicht zuletzt eine kolportierte Mitgift von neun Millionen britischer Pfund (umgerechnet gut elf Millionen Euro). Als Pay-Driver abgeschrieben zu werden, nervt Chilton aber gewaltig. "Ich würde es gern ignorieren, aber es geht nicht, weil es immer wieder vorgebracht wird", sagt der 21-Jährige und erklärt: "So tickt der Rennsport heutzutage. Man braucht Talent und Geld. Ohne die entsprechenden Voraussetzungen im Hintergrund hätten nicht viele der aktuellen Formel-1-Piloten eine Rennfahrerkarriere in Angriff nehmen können." Im Falle von Chilton ist Vater Grahame die treibende Geldkraft im Hintergrund. Chilton sen. ist Vorsitzender des britischen Versicherungsunternehmens Aon Benfield und Multimillionär.

2.10.2012