Boullier: "Wir haben es der Welt bewiesen"

Rundum glücklich: Boullier strahlte in Abu Dhabi

auf dem Siegerpodest

Für Kimi Räikkönen war es "nur" einer von 19. Grand-Prix-Erfolgen. Für Eric Boullier und die Lotus-Mannschaft bedeutete der Sieg in Abu Dhabi am Sonntag einen Meilenstein, schliesslich war es der allerste für Teamchef und Team. "Es ist eine grosse Erleichterung", freut sich der Franzose, der mit der 2011 noch desolaten Truppe aus Enstone in eine ungewisse Zukunft gestartet war: "Wir wussten nach dem vergangenen Jahr überhaupt nicht, was wir erwarten sollten. Ich bin glücklich und stolz."

Die Feierlaune bei den Schwarz-Goldenen trübte es überhaupt nicht, dass Fortuna ihr Scherflein beigetragen hatte: "Natürlich haben wir von Ausfällen und sonstigen Umständen profitiert", räumt Boullier ein, "aber Kimi hat eine grossartige Fahrt hingelegt. Er hatte zwei gute Restarts und das Team eine gute Strategie." Aber ob Räikkönen auch den überragenden Lewis Hamilton aus eigener Kraft hätte schlagen können? Jenson Button im zweiten McLaren will Boullier nicht als Referenz werten.

Rote Gefahr liess die Fingernägel leiden

"Wenn ich mir McLaren ansehe, sind Lewis und Jenson heute in zwei unterschiedlichen Güteklassen gefahren", analysiert er bei 'Sky Sports F1'. Allerdings gehört auch die Zuverlässigkeit zum Gesamtpaket eines Rennwagens - die liess McLaren häufig im Stich, Lotus hingegen hat sie im Falle Räikkönens quasi gepachtet. Trotzdem begann am Kommandostand in den finalen Runden das grosse Zittern. Einen gewichtigen Anteil hatten die Herren, die um den WM-Titel kämpfen. Boullier lässt bange Momente Revue passieren: "Als Vettel auf frischen weichen Reifen war, hat es eine Weile gedauert, bis er Button kassiert hat. Das hat uns in die Karten gespielt", erinnert er sich an die Aufholjagd des Red-Bull-Piloten. Die eines Ferrari-Stars trieb den Lotus-Boss aber nicht weniger dazu, über einen Tee mit Baldrian und Johanniskraut nachzudenken: "Es zehrt immer an den Nerven, Fernando Alonso aufholen zu sehen - es ist schliesslich Alonso!"

Aber Räikkönen ist eben auch Räikkönen. Und der finnische Stoiker liess sich von nichts und niemandem aus der Ruhe bringen. "Wir haben diesen Sieg die ganze Saison über immer verpasst und wussten, warum - schlussendlich hatten wir es uns auch selbst zuzuschreiben", rekapituliert Boullier. Wäre er auch enttäuscht gewesen, hätte Lotus die Premiere 2012 verpasst? "Irgendwie schon", meint der Franzose. "Rückblickend waren wir so nah dran, es zu schaffen."

Kampfansage an die Motorsport-Welt

"Da hätten wir auch sagen können: 'Dann eben im nächsten Jahr.' Aber es ist schon eine Erlösung." An die Zeremonie auf dem Podium muss sich Boullier aber erst noch gewöhnen: "Ich kannte das Protokoll nicht, Fernando Alonso musste mir sagen: 'Komm' hier her, komm' hier her.' Es war schön und ich war so stolz, dieses Hemd zu tragen, diese Trophäe nach Hause zu bringen." Er habe den Auftrag, den er zu erledigen hatte, getan und seinen Job gemacht, erklärt Boullier weiter. Der Lohn der Arbeit ist auch, dass Räikkönen eine realistische Chance hat, den dritten Rang in der Fahrer-WM am Jahresende zu sichern: "Kimi zwei Rennen vor dem Saisonende auf Platz drei zu sehen ist gut - für uns, für Kimi und für die Formel 1", wählt Boullier gewichtige Worte und schraubt den Pathos nicht zurück, wenn es darum geht, was Lotus in Abu Dhabi erreicht hat: "Wir haben der Welt gezeigt, dass wir es ernst meinen und Leistung abliefern können."

Räikkönen: "Jetzt hat es mal geklappt"

War anstrengend: Kimi Räikkönen nach dem Erfolg in

Abu Dhabi


Beim Start wie eine Rakete, am Funk wie ein Soziopath, im Rennen ein Vollgastier und nach dem Sieg ein Punk mit No-Future-Einstellung: Kimi ist und bleibt Kimi. Der schnelle Finne bescherte Lotus im Grand Prix von Abu Dhabi den heiss ersehnten Sieg und blieb dennoch äusserst cool. Er freue sich mehr für das Team als für sich selbst, sagt er. Und Grinsen gibt es beim Weltmeister von 2007 eben nicht auf Bestellung. Dazu steht er.

Frage: Kimi, herzlichen Glückwunsch zum Sieg. Du hast nahezu die gesamte Saison auf einen solchen Erfolg gewartet. Welche Emotionen hast du jetzt?

Kimi Räikkönen: Keine grossartigen.

Aber die Menschen wollen doch wissen, wie es ist, wenn man nach Belgien 2009 jetzt endlich mal wieder gewinnt. Also sag mal...

Beim letzten Mal haben mich alle angeschissen, weil ich nicht genügend gegrinst habe. Kann sein, dass es diesmal wieder so ist. Ich freue mich für das Team - für mich selbst auch, aber viel mehr für die Mannschaft. Es ist eine harte Saison für unser Team, es waren schwierige Zeiten. Jetzt glauben vielleicht alle wieder mehr an sich. Nicht nur die Jungs, die all die Arbeit machen, sondern auch die, die das Team betreiben. Ich hoffe, dies ist der Wendepunkt, und wir holen weitere Siege. Wenn nicht dieses Jahr, dann aber nächste Saison. Wenn ich gewinne, dann ist das toll. Wenn es nicht klappt, dann probiere ich es eben später noch einmal. Das ist kein Weltuntergang. Wir hatten in diesem Jahr mehrfach den Speed für Erfolge. Auch beim Grand Prix in Indien war das der Fall. Aber wenn man nicht vorne startet, dann kann man sehen, was passiert. Es war klar, dass der Start der Schlüssel sein wird. Der Start ist mir wirklich gut gelungen. Ich denke, wir hatten nicht den gleichen Speed wie McLaren, zumindest war es in der frühen Phase des Rennens nicht der Fall. Aber für einen Sieg muss man erst einmal ins Ziel kommen. Wir waren richtig gut unterwegs. Nur die Safety-Car-Phasen haben es uns heute etwas erschwert.

Beim Start bist du gleich auf Platz zwei nach vorn gekommen. War der Start also exzellent?

Ich habe gestern schon gesagt, dass es wichtig ist, dass du hinter schnellen Autos fährst und nicht hinter Autos, die das Tempo nicht gehen können. Ich bin der Überzeugung, dass wir im Rennen immer ein schnelles Auto haben, aber wenn man festhängt, dann gibt es kaum einen Weg vorbei. An diesem Wochenende hat es mal geklappt. Wir haben uns gestern in eine gute Ausgangslage gebracht, dann den Start gut hinbekommen. Darauf konnten wir aufbauen.

Ihr habt intensiv am Auspuffsystem gearbeitet. Wie viel hat das in Sachen Speed gebracht?

Es bringt schon ein bisschen, weil wir auf den Geraden schneller sind. Insgesamt haben wir dadurch einen gewissen Vorteil, aber im Grunde ist es das gleiche Auto wie in Südkorea. In diesem Jahr wird extrem deutlich, dass manche Autos zu manchen Strecken gut passen und zu anderen Kursen weniger. Schon in Indien waren wir stark, aber wir haben Fehler im Qualifying gemacht und den Preis dafür gezahlt. Jetzt haben wir mal alles richtig zusammenbekommen. Das hätte uns schon mehrfach in dieser Saison gelingen sollen, aber es hat aus diesen und jenen Gründen nicht geklappt. Immerhin haben wir jetzt einen Sieg. Wir machen weiterhin Druck und schauen mal, was wir in den kommenden Rennen ausrichten können.

War es dein bisher bester Start? Und wer war am Ende dein härtester Gegner: Alonso oder das Safety-Car?

Ich hatte schon mehrfach ordentliche Starts. Im Vergleich war das heute eigentlich ein ganz normaler Start. Ich konnte Mark und Maldonado überholen, bevor ich in den zweiten Gang schaltete. Schon mein Probestart war gelungen. Ich war sicher, dass es gut klappen würde. Das war auch unser Ziel, einen guten Start zu machen. Es hat geklappt. Es war der Schlüssel zum Sieg. Im Rennen hat uns das Safety-Car mehr geschadet als anderen Fahrern. Ich hatte einen guten Vorsprung herausgefahren und plötzlich nichts mehr. Das ist heute gleich zweimal passiert, beim ersten Einsatz des Safety-Cars war Lewis Hamilton noch vor mir. Geholfen hat uns das sicherlich heute nicht.

Mit wem und wie lange wirst du diesen Sieg feiern?

Ich habe jetzt fast zwei Wochen Zeit. Solange ich es irgendwie zum nächsten Rennen schaffe, ist das Team glücklich. Ich werde versuchen, zwischendurch auch mal nach Hause zu fahren.

Deine Funksprüche waren ein Highlight im Rennen. Wie sehr lenkt es ab, wenn man kämpft und wird dabei ständig daran erinnert, dass man die Reifen warmhalten soll?

Das ist ja normal, das ist bei allen Teams so. Die Jungs versuchen zu helfen, aber man muss ja nicht zweimal pro Minute das gleiche sagen. Ich bin nicht so doof, dass ich mir nicht merken kann, was ich gerade tue. Es ist aber wirklich normal, es ist als Hilfe gedacht. Ich weiss aber, was ich mache. Ich frage um Hilfe, wenn ich welche brauche. So etwas gab es nicht zum ersten Mal und auch nicht zum letzten Mal. Das passiert ständig bei anderen Teams. Es ist jeder bemüht, dich in die bestmögliche Position zu bringen. Verschiedene Menschen haben diesbezüglich aber verschiedene Bedürfnisse.

Was bedeutet es dir, dass du der erste Rennsieger in einem Lotus bist seit Ayrton Senna 1987?

Das ist lange her. Ich glaube kaum, dass Leute von damals jetzt in unserem Team sind. Es ist ja auch nur ein Name. Unser Team ist jenes, bei dem Fernando früher auch mal war, nur der Name hat sich geändert. Es ist ein grossartiger Name für unser Team, Lotus hat eine interessante Vergangenheit. Aber ich fahre für ein Team, wo mir der Name eigentlich egal ist. Es kümmert mich herzlich wenig. Vielleicht sieht dieser Sieg jetzt in den Augen mancher gut aus, aber für mich macht das echt keinen Unterschied.

Wer wird denn in diesem Jahr Weltmeister?

Auf mich würde ich kein Geld mehr setzen! Die beiden anderen liegen eng beisammen. Der Abstand beträgt zehn Punkte, glaube ich jedenfalls. Wenn sie so weitermachen, dann könnte ein einziges schlechtes Rennen entscheidend sein. Für Fernando wird es hart, aber wir haben gestern und bei anderen Gelegenheiten gesehen, dass alles passieren kann. Bei normalem Verlauf werden die beiden eng beisammen bleiben, sodass ein kleiner Fehler entscheiden kann.

Wird die Freude dadurch geschmälert, dass du ausgerechnet nach deinem heutigen Sieg keine WM-Chancen mehr hast?

Nein. Es war uns seit einigen Rennen klar, dass wir nicht den Speed haben, um dort mitzumischen. Wir haben immer gesagt, dass wir kämpfen und das Beste geben. Wir haben einen Sieg. Kann sein, dass wir am gleichen Tag den Kampf um den Titel verloren haben, aber das ist mir egal. Wir hatten sowieso nicht erwartet, dass wir es mit denen aufnehmen können. Wir hatten immer etwas Rückstand. In normalen Rennen hatten wir keine Chance gegen sie. Jetzt passt alles zusammen und wir haben gewonnen. Nächstes Jahr versuche ich es wieder.

Grosjean weist Schuld für Unfälle von sich


In der laufenden Saison war Romain Grosjean schon in einige Zwischen- und Unfälle verwickelt. Seit seiner Sperre in Monza geht der Franzose in Zweikämpfen augenscheinlich vorsichtiger zu Werke. Das Messer klemmt nicht mehr so fest zwischen den Zähnen. Beim Grand Prix von Abu Dhabi schied er allerdings vorzeitig aus. In einem generell turbulenten Rennen war auch der Lotus mit der Startnummer 10 in Feindberührungen verwickelt. In den ersten Kurven nach dem Start berührte die linke Frontflügelendplatte von Nico Rosbergs Mercedes den rechten Vorderreifen von Grosjean.

Ein Schaden entstand und der Franzose musste zum Reparaturstopp an die Box abbiegen. Durch diesen frühen Boxenhalt und der ersten Safety-Car-Phase wurde Grosjean bis auf den fünften Platz nach vor gespült. Dann kam er unter Druck von Paul di Resta (Force India), Sergio Perez (Sauber) und Mark Webber (Red Bull). Es kam schliesslich zu einem Unfall, aber Grosjean will die Schuld für die Vorkommnisse nicht auf sich nehmen. "Ich habe mein Bestes mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln gegeben. Es lief auch ganz gut", sagt der Lotus-Pilot. "Es war ein enger Kampf. Wir sind zu dritt auf Kurve elf zugefahren. Paul hat gekämpft und Perez rutschte in Kurve 13 neben die Strecke. Dann kam er in Kurve 14 wieder zurück und ich hatte keinen Platz mehr. Dann kam Mark und es war ein sehr grosser Unfall." Die Rennleitung sah in Perez den Schuldigen und verhängten eine "Stop-and-Go"-Strafe gegen den Mexikaner.

Auch di Resta stimmt zu: "Ich weiss nicht, was er dort machen wollte. Ich habe Grosjean überholt. Perez wollte ein verrücktes Manöver auf der Aussenbahn fahren und hat mir dabei überhaupt keinen Platz gelassen. Ich wurde getroffen und weiss nicht, was dann noch geschah." Di Resta konnte weiterfahren, aber für Grosjean war das Rennen beendet. Die erste Feinberührung mit Rosberg hatte er noch glimpflicher überstanden. "Ich habe meine Linie in Kurve acht gehalten, aber es war dort auch kein Platz für mich", spricht der 26-Jährige diese Situation an. "Ich versuchte die Linie bis Kurve neun so weit wie möglich zu öffnen. Aber ich musste auch wo fahren. Es war kein glücklicher Tag." Lotus-Teamchef Eric Boullier feierte den ersten Saisonsieg ausgelassen. Die Schuld für die Unfälle sieht er nicht bei seinem Fahrer. "Für den Unfall können wir ihn nicht verantwortlich machen, das war ein Rennunfall."

"Die Kommissare haben ihre Entscheidung getroffen. Aber die Sache wäre fast schlecht für das Team gewesen, weil das Safety-Car auf die Strecke kam. Er hat nichts falsch gemacht und das ist gut für seinen Erfahrungsschatz. Das ist genau das, was er tun muss", meint Boullier. Ein Schwachpunkt in Abu Dhabi war der Samstag: "Er hat nicht das beste Qualifying abgeliefert und wir wissen, warum. Er hatte einen guten Start, dann aber leider einen Plattfuss. Wir wollten ein Risiko eingehen und mit den Reifen durchfahren, aber die Pneus waren früher dahin, als wir das erwartet hatten."

5.2.2012