Red Bull: keine Verschiebungen in Spanien

Red-Bull-Teamchef Christian Horner rechnet damit,

dass sich die Kräfteverhältnisse an der Spitze auch nach dem Grand Prix von Spanien verschieben werden

Aufgrund der Streckencharakteristik des Circuit de Catalunya galt der Grand Prix von Spanien in Barcelona in den vergangenen Jahren regelmässig als Gradmesser, was die Konkurrenzfähigkeit der einzelnen Fahrzeuge betrifft. In dieser Saison, die für die Königklasse so abwechslungsreich und unvorhersehbar wie seit knapp 30 Jahren nicht mehr begann, stellen sich die Dinge anders dar.

Die Ausgeglichenheit im diesjährigen Formel-1-Feld brachte bei den ersten vier Rennen des Jahres nicht weniger als vier verschiedene Sieger und vier verschiedene Tabellenführer zu Tage. Anno 2012 entscheidet die Tagesform mehr denn je über Sieg oder Niederlage. So glaubt man im Lager des Weltmeisterteams Red Bull jedenfalls nicht, dass eine starke oder auch schwache Vorstellung in Barcelona automatisch auf den weiteren Saisonverlauf umgemünzt werden kann.

"Normalerweise ist Barcelona ein ziemlich guter Indikator für die Leistungsfähigkeit eines Autos. Funktioniert ein Auto auf dieser Strecke gut, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es auch auf den meisten anderen Kursen gut liegt", sagt Red-Bull-Teamchef Christian Horner gegenüber 'Autosport' mit Blick auf den in puncto Aerodynamik als Referenz geltenden Circuit de Catalunya. "Ob das jedoch in diesem Jahr auch wieder so sein wird, wer weiss das schon?", so Horner fragend. Beim Europa-Auftakt wird es wie schon in den vergangenen Jahren den ersten grossen Schwung überarbeiteter Boliden zu sehen geben. "Wir bilden da keine Ausnahme", sagt der Red-Bull-Teamchef und fügt vorfreudig hinzu: "Es wird interessant sein zu sehen, wie die unterschiedlichen Entwicklungen der Teams das Kräfteverhältnis verschieben werden."

In Form der bisherigen Saisonsieger McLaren, Ferrari, Mercedes und Red Bull und nicht zuletzt dem nahezu überall stark aufgeigenden Lotus-Team finden sich im Formel-1-Feld 2012 so viele Sieganwärter wie seit Jahrzehnten nicht mehr. "Die Dinge verschieben sich ständig. Das ist aufregend", hält Horner entzückt fest. "Wir hatten in diesem Jahr sehr gute Rennen. Auch wenn wir selbst eine langweilige dominante Weltmeisterschaft bevorzugen würden, ist es aus sportlicher Sicht toll, Konkurrenz zu haben", urteilt der Red-Bull-Teamchef. Grossen Anteil daran hat Reifenhersteller Pirelli, der die Pneus im Vergleich zur Comeback-Saison 2011 für dieses Jahr überarbeitete und die Teams damit Wochenende für Wochenende vor neue Herausforderungen stellt.

Red Bull hält sich mit Prognosen zurück


Das Red-Bull-Team testete diese Woche in Mugello und bereitete sich auf die anstehenden Rennen in Europa vor. Die Testarbeit teilten sich die beiden Stammfahrer Sebastian Vettel und Mark Webber untereinander auf, wobei Vettel auf alle drei Tage gesehen der schnellere der beiden war. Am finalen Tag verfehlte der Deutsche die Bestzeit um zwei Zehntelsekunden und belegte hinter Romain Grosjean Platz zwei der Tageswertung.

Nach der Testwoche, in der die meisten Teams neue Updates für die Rennen in Europa einsetzten, wollte Vettel nicht weiter auf die Neuheiten eingehen, die Red Bull in Barcelona einführen wird. Ob diese wirklich den gewünschten Effekt mit sich bringen werden, ist aber auch nicht klar, wenn man den Aussagen des Deutschen Glauben schenkt.

Vettel: Respekt vor wechselndem Wind

Denn Barcelona hält laut Vettel viele Überraschungen parat. "Von allen Grand-Prix-Kursen ist Barcelona der, auf dem wir in den vergangenen Jahren am meisten getestet haben", erklärt der 24-Jährige. "Abgesehen davon hilft einem das Wissen, welches man bei den Tests sammelt, nicht immer, da der Wind in Barcelona ständig aus anderen Richtungen weht, was zu bösen Überraschungen führen kann, besonders in Kurve 1."

Der Red Bull RB8 gilt als eines der aerodynamisch effizientesten Autos. Es wurde von Stardesigner Adrian Newey entworfen, der seit fast 20 Jahren Formel-1-Autos konzipiert, von denen die meisten WM-Titel einfahren konnten. Diese Eigenschaft könnte in Spanien und bei den restlichen Grands Prix Red Bull in die Karte spielen, denn laut Vettel ist Barcelona ein guter Gradmesser: "Wenn die Aerodynamik eines Autos in Barcelona gut funktioniert, funktioniert sie überall gut. Wir haben diese Woche beim Test am Paket für Barcelona gearbeitet, doch werden dort vor Ort noch am Setup feilen müssen."

Für Mark Webber wird es in Barcelona darauf ankommen, den Punkterückstand auf seinen Teamkollegen wettzumachen. Derzeit liegt Webber mit 48 Punkten fünf Zähler hinter Vettel, der die WM nach seinem Sieg in Bahrain zum ersten Mal in diesem Jahr anführt. Auch in der Teamwertung sind die Abstände knapp. Dort liegt Red Bull (101) derzeit nur neun Zähler vor McLaren. An Barcelona hat Webber gute Erinnerungen. 2010 holte der Australier einen Start-Ziel-Sieg und 2011 fuhr er immerhin auf die Pole-Position.

Webber auf Wohlfühl-Terrain

"Es ist das erste Saisonrennen in Europa, also werden wir nach einem erfolgreichen Test in Mugello wieder mit voller Kraft angreifen", gibt sich Webber angriffslustig. "Der Beginn des Tests war schwierig, der Abschluss hingegen positiv. Vor dem Rennen in Barcelona konnten wir mit dem Auto viele Kilometer zurücklegen und auf einigen neuen Gebieten neue Erkenntnisse gewinnen. Ich mag die Strecke von Barcelona", fährt er fort. Wir arbeiten dort immer sehr viel und die Strecke war in der Vergangenheit ein gutes Pflaster für mich. Ich stand in den vergangenen zwei Jahren hier auf der Pole und konnte sie 2010 sogar in einen Sieg umwandeln. Ich freue mich also auf ein gutes Wochenende. Es geht unter den Teams sehr eng zu, weshalb wir darauf achten werden, alles richtig zu machen, um ein positives Wochenende zu erleben."

Vettel will den nächsten Sieg


Ferrari hofft auf die Kehrtwende, Mercedes auf weitere Sternstunden, und Weltmeister Sebastian Vettel will einfach da weitermachen, wo er mit dem Sieg in Bahrain aufgehört hat: Der Europaauftakt der Formel 1 am Sonntag in Barcelona könnte die bisherigen Kräfteverhältnisse durchaus wieder verrücken. Schließlich hatten die Teams in der vorigen Woche in Mugello erstmals seit 2008 wieder die Möglichkeit, während einer Saison drei Tage lang neue Teile und Abstimmungen zu testen - und haben grösstenteils ausgiebig Gebrauch davon gemacht.

"Wir hoffen, dass wir einen Schritt nach vorne gemacht haben", sagt Vettel, dessen Red-Bull-Team wenig sichtbare neue Teile eingesetzt, dafür aber viel Feinarbeit betrieben hat. "Man kann nicht viel erwarten. Das Reglement ist schwierig und lässt nicht viel Freiraum. Deswegen versucht man, das zu verfeinern, was man hat", so Vettel, der bei seinem ersten Saisonsieg in Bahrain erstmals ein komplettes Wochenende lang das Potenzial seiner "Abbey" genutzt hatte.

In Mugello haben Vettel und Teamkollege Mark Webber viele Daten gesammelt, um diese Eindrücke zu festigen und damit dem Team viele Stunden Denksport beschert. Für "viele Meetings, in denen die Unmengen an Daten und Ergebnissen ausgewertet werden", wie der Weltmeister erklärt: "Solche Teamtreffen sind sehr wichtig, weil da viel gesprochen und diskutiert wird. Durch diese Gespräche gehen wir sicher, dass nichts übersehen wird und wir mit bestem Gewissen nach Barcelona fliegen können." Und mit den richtigen Verbesserungen für den RB8.

Ähnlich geht es den Mercedes-Piloten Nico Rosberg und Michael Schumacher, die mit insgesamt 1715 Kilometern in Mugello das fleissigste Fahrer-Duo waren. Dabei hat Mercedes offenbar einen Grund dafür gefunden, warum der W03 mit Ausnahme des Rosberg-Siegs in Schanghai mehr oder weniger große Probleme mit dem Reifenverschleiß hatte. "Wir haben etwas gefunden, einen Parameter, der den Reifenabbau beeinflusst", so Rosberg. "Das sollte uns in Barcelona helfen. Ich glaube, dass wir die Reifen und die Abstimmung unseres Autos jetzt viel besser verstehen."

Ein besseres Verständnis für die Pirelli-Reifen sucht auch Teamkollege Schumacher, der seine in Bahrain geäusserte generelle Kritik ("Wir gehen nicht an die Limits") an den italienischen Gummiwalzen noch einmal bekräftigte. "Wir fahren wie auf rohen Eiern und wollen die Reifen nicht überstrapazieren. Sonst überfahren wir sie und landen dann im Nirgendwo", so der Rekordweltmeister gegenüber 'CNN'. Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery schiebt Schumachers Kritik auf dessen Enttäuschung über den unglücklich verlaufenen Saisonstart: "Klar ist er unzufrieden. In den ersten vier Rennen der Saison haben zwei Deutsche gewonnen, einer davon war sein Teamkollege. Dazu stand Kimi Räikkönen schon im vierten Grand Prix nach dem Comeback auf dem Podest."

Schumacher zieht nun ein positives Fazit aus den Tests in Mugello. "Das Gute war, dass wir uns wirklich auf die Neuentwicklungen konzentrieren konnten, die wir uns als Ziel gesetzt hatten. Damit sollten wir eine gute Basis für die Weiterentwicklung geschaffen haben", glaubt Schumacher, der dennoch mit ein bisschen Skepsis nach Spanien fliegt: "Barcelona ist eine Strecke, auf der wir ausgiebigst gefahren sind. Deshalb wissen wir, dass uns ihre Charakteristik nicht unbedingt in die Hände spielt."

Auf einen Befreiungsschlag hofft unterdessen Ferrari, Malaysia-Sieger Fernando Alonso wartet vor seinem Heimspiel auf dringend benötigte Verbesserungen. "Barcelona ist der erste und wichtigste Entwicklungsschritt", sagt der Spanier und fordert zugleich: "Wir müssen in Kanada und Valencia nachlegen."

10.5.2012