Sebastian Vettel auch in Monaco mit Überraschungen

Die Formel-1-Saison 2012 geizt bisher nicht mit Sensationen. Einer der Hauptgründe dafür sind die Pirelli-Reifen, die dieses Jahr noch unberechenbarer sind als im Vorjahr, als die Teams vor allem zu Saisonbeginn ihre liebe Not mit den Gummis hatten. Doch dieses Jahr hat es noch kein Rennstall wirklich geschafft, die Pneus zu verstehen - dadurch verschiebt sich das Kräfteverhältnis wie durch einen Zufallsgenerator von Rennen zu Rennen.

Das mag für Fans aufregend sein, doch für die Teamverantwortlichen ist es ein Alptraum. Michael Schumacher betonte zuletzt mehrmals, dass die Reifen in der "Königsklasse" eine zu grosse Rolle spielen. Und auch so mancher Experte würde sich berechenbarere Rennen wünschen, denn Prognosen sind in der aktuellen Formel 1 beinahe unmöglich. Nun steht in der Formel 1 der Klassiker von Monaco auf dem Programm - eine Strecke, wo die Reifen durch die engen, langsamen Kurven und mangelnden Grip völlig anders gefordert werden als zum Beispiel in Sepang, Schanghai oder Barcelona, wo die schnellen Kurven einen enormen Verschleiß zur Folge hatten.

Streckenposition steht im Vordergrund

Wird es daher für die Teams leichter, den Reifen in das richtige Temperaturfenster zu bringen? Sebastian Vettel winkt ab und rechnet gegenüber 'ServusTV' mit einer ähnlich schwierigen Ausgangssituation wie bei anderen Rennen: "Es wird genauso schwer wie woanders." Dennoch gibt es in Monaco einen gravierenden Unterschied: Während man auf anderen Kursen auch einmal bei der Strategie riskieren und die verlorenen Positionen mit frischen Reifen und mutigen Überholmanövern wieder gutmachen kann, steht im Fürstentum die Position auf der Strecke im Vordergrund. "Selbst wenn man im Rennen richtig langsam unterwegs ist, wie das bei mir letztes Jahr der Fall war, ist es nicht so einfach, dass man - wenn man schneller könnte - vorbeikommt", hält der Red-Bull-Pilot Szenarien wie bei Kimi Räikkönen in Schanghai 2012, der in der Endphase aufgrund nachlassender Reifen von Platz zwei nach hinten durchgereicht wurde, für äusserst unwahrscheinlich. "Das kann man sich vielleicht in der Situation besser einteilen."

Vettel will Pole-Position nicht überbewerten

Er meint aber dennoch, dass man die Bedeutung der Reifen in den Häuserschluchten nicht unterschätzen dürfe. "Ich glaube schon, dass die Reifen eine grosse Rolle spielen werden - was die Strategie angeht und wie oft ich reinkommen muss. Aber es wird wahrscheinlich nicht so dominant sein wie in Schanghai oder Barcelona, wo man wirklich merkt, dass die Reifen abbauen und man - wenn jemand wirklich extreme Probleme hat - an jeder zweiten Ecke vorbeifährt, ohne dass es einem schwerfällt."

Die alte Mär, dass die Pole-Position in Monte Carlo bereits der halbe Sieg ist, will der zweifache Weltmeister aber nicht unterstützen. "Ich glaube nicht, dass es in Monte Carlo wichtig ist, ganz vorne zu stehen. Es ist dort natürlich ein grösserer Vorteil als überall anders, aber das war schon immer so."

Vettel verteidigt Schumacher: "War ein Rennunfall"


Nach dem Grand Prix von Bahrain hatten viele schon damit gerechnet, dass bei Red Bull der Knoten geplatzt ist und das Weltmeister-Team nun in gewohnter Manier die Formel 1 dominieren wird. Doch davon kann nach dem Grand Prix von Spanien, der in der Vergangenheit stets als Gradmesser für das Kräfteverhältnis in der Formel 1 galt, nicht mehr die Rede sein.


Im Qualifying fuhr Sebastian Vettel als bester Red-Bull-Pilot bloss die achtbeste Zeit, Mark Webber schied bereits in Q2 aus. Und auch das Rennen lief nicht nach Plan, denn beide Piloten mussten ihre Frontflügel an der Box wechseln - Vettel wurde zudem noch eine Durchfahrtsstrafe aufgebrummt. Ursache der Probleme war im Fall von Vettel die Kolission zwischen Michael Schumacher und Bruno Senna.

Schumacher-Senna-Crash machte Vettel das Leben schwer

"Uns hat dieses Manöver, das Michael da veranstaltet hat, eine Menge gekostet", lässt Teamchef Christian Horner gegenüber 'ServusTV' durchscheinen, dass er den Rekord-Weltmeister für den Schuldigen hält. "Michael war der Auslöser." Der Zwischenfall hatte für Vettel gleich doppelt negative Folgen, erklärt Horner: "Erstens der Schaden am Frontflügel, denn man hat gesehen, was für ein Riesen-Wrackteil da in Sebastians Auto reingeknallt ist, und zweitens die Durchfahrtsstrafe, die er bekommen hat." Vettel, der Schumacher wohlgesonnen ist, hält sich gegenüber 'ServusTV' mit Schuldzuweisungen zurück: "Man hat in diesen Situationen nicht viel Zeit. Man weiss, dass man auf der Geraden vielleicht nicht den ganz grossen Geschwindigkeitsüberschuss erzeugen konnte. Ich glaube, so etwas muss man einfach in die Kategorie Rennunfall einordnen. Solche Dinge passieren leider." Obwohl er unmittelbar hinter Schumacher fuhr, findet er unterschiedliche Betrachtungsweisen legitim: "Man kann jetzt natürlich sagen, der eine ist draufgefahren. Man kann aber auch sagen, es gehören immer zwei dazu."

Warum die Nase gewechselt werden musste

Dass seine Probleme mit dem Frontflügel einen Zusammenhang mit dem Crash hatten, war Vettel lange nicht bewusst. "Zu dem Zeitpunkt, als ich die Probleme spürte, hatte ich keine Erklärung dafür, denn ich war nicht neben der Strecke, bin mit niemandem kollidiert", schildert er die unklare Situation. "Ich dachte, dass vielleicht ein Teil am Flügel hängengeblieben ist und das verursacht." Doch es gibt einen Grund, warum zwischen der Kollision mit dem Wrackteil und den einsetzenden Problemen ein gewisser Zeitraum lag. "Vorne links war ein Teil des Flügels, der einen weiteren Teil zusammenhält, gebrochen", erklärt Vettel. Der Schaden hatte sich zunächst nicht ausgewirkt, "bis dann dieser Steg nachgegeben hat und gebrochen ist." Er bereut den Nasenwechsel im Nachhinein nicht: "Es war die vollkommen richtige Entscheidung. Man verliert zwar Zeit beim Boxenstopp, aber die Jungs haben das recht schnell hinbekommen."

Welche Folgen hatten die Durchfahrtsstrafe?

Sehrwohl bereut er aber die Durchfahrtsstrafe. Hätte er den DRS-Knopf am Ende der Start-Ziel-Geraden, wo Gelbe Flaggen geschwenkt wurden, nicht gedrückt, dann wäre er vermutlich der Strafe durch die Rennkommissare entgangen, denn so fuhr er im ersten Sektor trotz Gefahrensituation seine bis zu diesem Zeitpunkt schnellste Sektorzeit. "Das mit der Gelben Flagge muss ich auf meine Kappe nehmen", gesteht Vettel. "Im Rennen habe ich es nicht ganz verstanden, ich war mir in dem Moment keiner Schuld bewusst. Wir haben das öfter in der Fahrerbesprechung besprochen, vielleicht habe ich da nicht richtig zugehört." Dennoch glaubt der Red-Bull-Pilot, dass er ohne die Strafe bestenfalls um einen Position besser platziert gewesen wäre, zumal er in der Endphase mit tollen Überholmanövern aufzeigte. "Die Durchfahrtsstrafe kostet zwar Zeit, aber viel mehr als Platz fünf wäre nicht drin gewesen, denn der Abstand von Platz fünf auf vier waren 50 Sekunden", rechnet er.

Furiose Endphase von Vettel

Nach dem letzten Stopp teilte sich Vettel die Reifen perfekt ein, um das Maximum herauszuholen: "Wir sind glaube ich 25 Runden vor dem Ende reingekommen, und ich wusste, dass die Reifen halten müssen. Da ist es nicht einfach, sich den Stint so einzuteilen, dass man in den letzten zehn Runden mehr Körner hat als die anderen, aber das hat gottseidank geklappt, und ich konnte dann an drei Piloten vorbeigehen." Und so gelang es Vettel im Gegensatz zu seinem Teamkollegen Webber, seinen Punktestand doch noch erheblich zu verbessern und in der WM die Führung zu verteidigen. Der "Aussie" musste hingegen in den letzten Runden des Rennens eine Überrundung über sich ergehen lassen und ging zudem mit Platz elf leer aus.

Bei Webber ging alles schief

Webber war in der sechsten Runde der erste Pilot, der sich planmässig frische Reifen abholte, um nicht im Verkehr zu stecken. Doch wenig später klagte er ähnlich wie Vettel über einen plötzlichen Abtriebsverlust beim Frontflügel. "Ich hatte ein riesiges Problem mit der Front des Wagens", bestätigt er gegenüber 'ServusTV'. "Die Nase hat irgendwie überhaupt nicht funktioniert, daher mussten wir stoppen." Durch den Nasenwechsel verlor er zusätzlich Zeit, ausserdem war er durch zwei Stopps in den ersten 17 Runden von seiner ursprünglich geplanten Strategie abgekommen. "Ab Runde 18 begann dann im Grunde die zweite Rennhälfte für mich, das war keine ideale Strategie", sagt er. "Da war schon alles für uns gelaufen, denn Barcelona ist nicht wie Schanghai oder Bahrain, wo es mehrere Überholmöglichkeiten gibt."

Mysteriöses Problem mit der Nase

Während in Vettels Fall als sicher gilt, dass ein Wrackteil von Schumachers Mercedes den Flügel beschädigt hatte, tappt man bei Webber im Dunkeln. "Wir haben direkt nach Marks Funkspruch anhand der Daten gesehen, dass da etwas nicht in Ordnung war, dass die Balance nicht mehr stimmte", schildert Horner die Verwirrung am Kommandostand. "Vielleicht wurde der Flügel von einem dicken Stück Gummi oder einem Trümmerstück getroffen. Der Flügel wird jetzt in der Fabrik zerlegt und überprüft." Später steckte Webber zu allem Überdruss auch noch bis zum Rennende hinter Nico Hülkenberg fest. "Gegen den Force India hatte ich keine Chance", resümiert Webber. "Der hat ein gutes KERS, ist gut auf der Geraden und hat auch eine gute Traktion. Wenn du ein Auto mit schlechter Traktion vor dir hast, geht es leichter. Er war auf einigen Teilen der Runde recht langsam, aber nach der Kurve war er wieder recht stark." Er übt aber auch Selbstkritik: "Ich bin ein bisschen enttäuscht, weil ich vielleicht nicht genug Risiko eingegangen bin. Aber über Funk wird dir gesagt 'Pass auf deine Reifen auf, riskiere nicht so viel' - es hat eben nicht gepasst."

Vettel akzeptiert Strafe: "War mein Fehler"


Unmittelbar nach dem heutigen Grand Prix von Spanien wusste Sebastian Vettel noch nicht, wofür ihm von der Rennleitung eine Durchfahrstrafe aufs Auge gedrückt wurde: "Ich weiss nicht, welche gelbe Flagge es gewesen sein soll", wunderte sich der Red-Bull-Pilot nach seiner Fahrt auf Platz sechs und ärgerte sich: "Für mich ist es schwer zu verstehen, weil ich aus meiner Sicht nichts falsch gemacht habe."

Inzwischen ist klar: Vettel war im ersten Sektor zu schnell, als nach der Kollision zwischen Bruno Senna und Michael Schumacher in der ersten Kurve die Aufräumarbeiten im Gange waren. Um böse Absicht handelte es sich nicht, aber dem WM-Leader wurde das aktivierte DRS zum Verhängnis: "Ist zwar dumm gelaufen, war aber mein Fehler", gesteht er. "Ich hatte den Heckflügel aufgemacht, obwohl gelb gezeigt wurde. Das hätte ich besser machen können. Die Strafe muss ich akzeptieren."

Wenn nach einem Unfall gelbe Flaggen geschwenkt werden, gilt erstens strenges Überholverbot und zweitens muss die Gefahrenstelle nachweislich mit verlangsamtem Tempo passiert werden. In der Regel wird die Zeit im jeweiligen Streckensektor als Indikator genommen. Das könnte Vettel zum Verhängnis geworden sein, denn durch das aktivierte DRS war er auf der Start- und Zielgeraden schneller als in den Runden zuvor - und selbst wenn er die erste Kurve früher angebremst haben sollte, könnte unterm Strich eine bessere Sektorenzeit herausgekommen sein.
"Der Flügel ist offen, weil vielleicht vor ihm jemand an die Box fuhr", vermutet Formel-1-Experte Marc Surer. "Dann kommt er natürlich viel schneller die Gerade runter und fährt wohl im ersten Sektor eine persönliche Bestzeit. Wenn du zu schnell die Gerade runterkommst, hast du vielleicht zwei, drei Zehntel Vorsprung auf deine beste Runde davor. Selbst wenn er dann in der ersten Kurve langsamer gemacht und ein Zehntel auf die Sektorenzeit verloren hat, war die Sektorenzeit insgesamt besser. Das wird bestraft, so sind die Regeln. Ist einfach passiert."
Die gute Nachricht: Trotz der Nullnummer in Malaysia führt Vettel nach fünf von 20 Rennen mit 61 von 125 möglichen Punkten die Weltmeisterschaft an, ex aequo mit Ferrari-Pilot Fernando Alonso. "Wenn man überlegt: Flügelwechsel, Durchfahrtstrafe - dann ist seine Platzierung eigentlich super", sieht Surer den Ausgang des heutigen Grand Prix von Spanien aus Sicht des Titelverteidigers positiv. Immer gepunktet haben 2012 nur zwei Fahrer: Alonso und Lewis Hamilton, der zuletzt zweimal hintereinander Achter wurde.

16.5.2012