Lotus will in Bahrain beide Fahrer in Top 10 sehen

Lotus-Teamchef Eric Boullier

ist mit der bisherigen Punkteausbeute seines Teams nicht zufrieden


Der im Winter von Renault in Lotus umbenannte Rennstall rund um Teamchef Eric Boullier brachte bei den ersten drei Rennen der Saison zwar jedesmal ein Auto in die Punkteränge (Kimi Räikkönen punktete in Australien und Malaysia, Romain Grosjean in China), mit beiden Fahrzeugen blieb dem Team diese Leistung anders als einigen der Gegner bisher aber verwehrt. Im Interview spricht Boullier über das schwierige Wochenende in China, über die Erwartungen für Bahrain und über seine Hoffnungen für die Zukunft.

Frage: Eric, wie beurteilst du rückblickend den Grand Prix von China?

Eric Boullier: Für uns war es ein schwieriges Wochenende. Das ging schon im Freien Training los, als unser neues Aerodynamik-Paket nicht ganz so funktionierte wie erwartet. Da die Streckenzeit an einem Rennwochenende immer sehr begrenzt ist und wir zudem nicht wussten, ob die Situation eine Folge der niedrigen Temperaturen war oder im Paket selbst begründet lag, entschieden wir uns ab Samstag für einen Kompromiss aus neuen Teilen und der bisherigen Konfiguration. Anschliessend verloren wir im Vergleich zu unseren Gegnern etwas den Anschluss. Zwar kamen wir ohne Probleme bis in Q3, das Rennen entwickelte sich aber nicht wie erhofft. Kimi zeigte eine starke Leistung, aber unsere Strategie ließ es nicht zu, dass er aufs Podium fährt. Wir sind nach wie vor überzeugt, dass die Zweistoppstrategie grundsätzlich richtig war, aber wir holten ihn nach seinem zweiten Stint zu früh herein. Das ist bitter. Unterdessen konnte Romain sein Pech endlich abstreifen. Er kam auf Platz sechs ins Ziel und hätte sogar noch weiter vorn landen können. Sein Duell mit Pastor Maldonado war toll anzusehen, auch wenn es an der Boxenmauer für ziemliche Aufregung sorgte.

Mit welchem Gefühl geht das Team in das Rennwochenende in Bahrain?

Im Vorfeld des China-Wochenendes sprach ich von Enttäuschung. Das ist auch jetzt das dominierende Gefühl. Bei den ersten drei Rennen holten wir jeweils nur mit einem unserer beiden Autos WM-Punkte. Wenn man sich das Ergebnis aus Schanghai ansieht stellt man fest, dass McLaren, Red Bull, Sauber und Williams allesamt beide Fahrer in den Top 10 hatten. Das muss für Bahrain ganz klar unser Ziel sein. Der aktuelle Stand in der Konstrukteurswertung spiegelt nicht unsere wahre Leistungsfähigkeit wider. Zehn Runden vor Schluss lagen wir in China auf den Plätzen zwei und sechs und sahen recht stark aus. Diese Leistung müssen wir künftig bis zur Karierten Flagge durchhalten.

Gibt es auch positive Aspekte, die das Team mitnimmt?

Natürlich. Kimis Startposition war seine bisher beste in diesem Jahr. Zudem wird es bald weitere neue Entwicklungen am Auto geben. Obwohl die Bedingungen zweitweise schwierig waren und die Strecke dem E20 nicht unbedingt entgegen kommt, konnten wir dennoch ein weiteres Mal zeigen, dass wir an der Spitze mitfahren können. Mercedes war uns in China klar überlegen und auch McLaren war einen Tick besser als wir. Wir verfügen aber auf jeden Fall über ein Auto, mit dem wir Podestplätze einfahren können. Es kommt vor allem darauf an, dass wir die sich bietenden Gelegenheiten nutzen.

Sowohl Kimi als auch Romain haben seit Beginn der Saison einige Positionen an der Box verloren. Ist das ein Grund zur Sorge?

Wir kennen die Ursache des Problems. Unsere Jungs trifft da kaum eine Schuld. Um schnellere Boxenstopps hinlegen zu können, müssen wir einen Teil unseres Equipments erneuern. Für Bahrain werden wir das noch nicht schaffen aber in Barcelona werden wir mit Sicherheit einen Schritt weiter sein.

Wie sehen die Erwartungen für Bahrain aus?

Ich würde sagen exakt genauso wie sie für China aussahen. Unser Ziel ist ein problemloses Wochenende, an dem wir zeigen können, wozu der E20 in der Lage ist. Anders als an den ersten drei Rennwochenenden sollte es diesmal zu keinem Zeitpunkt Regen geben, der uns das Leben schwer macht. Beide Autos in die Top 10 zu bringen wäre eine schöne Verbesserung. Mit unserem gegenwärtigen sechsten Platz in der Konstrukteurswertung bin ich nicht zufrieden, bin aber überzeugt, dass wir dort nicht mehr allzu lange bleiben werden.

Gelingt endlich der Sprung auf das Podest?


Für Lotus ist 2012 bisher ein Jahr der unerfüllten Erwartungen. Bei jedem der drei Saisonrennen liess die Truppe aus Enstone ihr enormes Potenzial und das des gelungenen E20 aufblitzen, in Ergebnisse konnte man dies allerdings bisher nur bedingt ummünzen. Diese Saison hat man die Positionen sieben, fünf und sechs zu Buche stehen - noch nie kamen beide Autos in die Punkte. Dazu kommt, dass das für China vorbereitete Update nach dem Training wieder ausgebaut werden musste. Lotus tritt derzeit also etwas auf der Stelle. Nun hofft das Team in Bahrain auf den Durchbruch. Als Renault-Rennstall feierte man dort in den Jahren 2005 und 2006 zwei Siege. Auch "Iceman" Kimi Räikkönen hat beim Wüstenrennen eine positive Bilanz vorzuweisen: Zwischen 2005 und 2008 stand er jedes Mal auf dem Podest. Und sogar für Romain Grosjean, der in Schanghai endlich seine ersten Punkte der Saison holte, ist der Bahrain International Circuit nicht gänzlich unbekannt: Der Franzose fuhr dort bereits 2008 in der GP2 Asia, wo er siegte, und testete den Toyota TF109 2010 für Pirelli.

Räikkönen in China ein Reifenopfer

Räikkönen will in Bahrain die Schmach von China vergessen machen - der Finne lag eine Zeitlang sogar auf Platz zwei, doch am Ende liessen ihn die abgefahrenen Reifen völlig im Stich und er wurde auf Platz 14 durchgereicht: "Das war ein gutes Rennen, aber im letzten Stint verliess mich die Performance der Reifen", bilanziert er. "Ich fühlte mich im Auto wohl, und ich konnte gut pushen, doch am Ende haben wir verloren. Ich kam an Felipe in der mittleren Phase des Rennens nicht vorbei, und ich konnte Sebastian nicht hinter mir halten, doch der Speed des Autos passt." Als Vettel mit ebenfalls alten Reifen an Räikkönen vorbeikam, brach die Performance beim Finnen ein und Konkurrent um Konkurrent schossen an ihm vorbei. "Ich hatte ihn lange hinter mir gehalten, aber am Ende waren die Reifen dafür zu kaputt", erklärt der 32-Jährige. "Ich kam von der Ideallinie ab und landete auf den Gummimurmeln. Auf dem losen Untergrund hatte ich sehr wenig Traktion, und weil es so eng war, kamen viele Autos an mir vorbei. Da war es schon zu spät, um noch einen Stopp zu machen, was schade war. Wir hatten uns aber für diese Strategie entschieden, und ich hätte nicht um Platz zwei gekämpft, wenn wir uns für eine Dreistopp-Strategie entschieden hätten", ist sich Räikkönen sicher. "Vielleicht hätten wir einen längeren zweiten Stint fahren sollen, denn das funktionierte bei Romain gut. Wir haben jedenfalls viel über die Reifen gelernt." Im Nachhinein bereut er nichts: "Die Variante sah am besten aus, und bei Romain hat es funktioniert. Mit den gleichen Informationen hätten wir wahrscheinlich noch einmal die gleiche Entscheidung getroffen."

Wetter verhinderte Updates

"Es hat nicht funktioniert, aber das weiss man meist erst, wenn man es probiert. Beim nächsten Mal wissen wir es besser. Wir waren nahe dran, das Rennen auf dem Podest zu beenden, aber es ist uns nicht gelungen. So ist der Rennsport." Immerhin hatte Räikkönen seine Freude an den zahlreichen Rad-an-Rad-Duellen: "Das habe ich beim Rallyefahren vermisst, und es ist gut, auf diese Art gegen andere Autos zu fahren. Teilweise war es sehr knapp, aber es heisst Rennsport, und das ist es, was wir tun. Ich denke, dass es im Fernsehen sicher für jeden gut ausgesehen hat. Ich freue mich jedenfalls auf mehr Rennen in dieser Saison." Räikkönen hätte sich ähnlich wie sein Team mehr von den Updates versprochen: "Wir hatten viele Teile dabei, aber es war nass am Freitagmorgen und am Nachmittag sehr kalt. Wir rüsteten für Samstag daher auf die alte Spezifikation zurück, da wir wussten, wie sie funktioniert. Das Qualifying war in Ordnung, aber der Abstand zur Pole war größer als erwünscht. Wir haben das Auto nicht schneller gemacht, was einigen anderen Teams schon gelungen ist. Der E20 fühlt sich immer noch gut an, aber wir müssen einfach etwas mehr Speed herausholen. Hoffentlich gelingt uns das in Bahrain." Auf dem Bahrain International Circuit rechnet der Finne nicht mit "besonderen Problemen. Wahrscheinlich wird es recht heiss sein - unser Auto mochte die Kälte in China nicht so gern, daher liegt uns die Hitze vielleicht etwas besser. Die Strecke hat unterschiedliche Kurven, und es macht Spaß, dort zu fahren. Es gibt auch ein paar Überholmöglichkeiten. Schauen wir mal, wie es läuft..."

Räikkönen mag Bahrain

Trotz seiner guten Bilanz lässt er sich nicht zu einer Prognose hinreißen: "Ich war schon einmal Zweiter und dreimal Dritter in Bahrain, was in Ordnung ist. Ich fahre dort gerne. Erst dort werden wir wissen, wie stark das Auto ist. Vielleicht gelingt es uns, die Updates auf dem Auto ordentlich zum Arbeiten zu bringen, und wir sind dadurch schneller als in China..." Der Lotus-Pilot stellt einmal mehr klar, dass ihm die Gewöhnung an die Formel 1 nicht schwer gefallen ist: "Es ist nicht so anders als früher. Ich mag die Reisen bei den ersten Rennen nicht so gerne, da sie so weit von zu Hause weg sind, aber bald fahren wir ja in Europa. Wenn man an der Strecke und im Auto ist, dann weiß man, was man zu tun hat, daher spielt alles andere eigentlich keine Rolle. Wenn ich im Auto sitze, dann fühlt es sich gut an, und wir alle arbeiten daran, schneller zu werden." In Bahrain peilt Räikkönen seinen ersten Podestplatz der Saison an: "Ein Podestplatz sollte möglich sein, und ich denke, dass das auch für alle bisherigen Rennen galt. Wir wissen nicht genau, wie gut das Auto dort sein wird, aber wir rechnen mit keinen Problemen."

Grosjean: Endlich Punkte!

Während Räikkönen zuletzt in China nach zwei Rennen mit WM-Punkten einen Rückschlag hinnehmen musste, ist bei seinem Teamkollegen das Gegenteil der Fall: Grosjean schied in den ersten beiden Rennen stets schon nach wenigen Runden durch Kollisionen aus und ergatterte in Schanghai endlich seine ersten WM-Punkte der Saison. "Ich bin sehr zufrieden - für mich, für das Team und wegen der harten Arbeit, die wir verrichtet haben", zeigt sich Grosjean erleichtert. "Wir haben dieses gute Ergebnis verdient. Wir mussten tolle Arbeit leisten, um uns nach dem Freien Training zu steigern. Da war es nicht so gut gelaufen, aber am Ende waren wir dort, wo wir hingehörten." Während der Reifenpoker für Räikkönen im Rennen nicht aufging, lief es für Grosjean besser: "Ich wusste, dass es mit den Reifen eng werden würde, und ich gab mein Bestes, um sie zu schonen. Das ist immer schwierig, wenn man im Vergleich zu den Autos hinter einem auf einer riskanten Strategie ist. McLaren und Red Bull attackierten mit neuen Reifen, und ich wusste nicht wirklich, was mich erwarten würde."

Franzose ständig im Verkehr

Die Anfangsphase des Rennens lief nicht ganz optimal: "Mein Start war sehr gut, aber dann fuhr Fernando nach rechts herüber und er blockierte mich - da konnte ich nicht viel machen. Dann kam leider Felipe von aussen und fuhr an mir vorbei - ein gutes Manöver von ihm. Er hielt mich während des gesamten ersten Stints auf, was nicht sehr gut für mich war. Aber der zweite Stint war toll." Auch nach dem zweiten Stopp fand sich Grosjean im Pulk wieder: "Klar kann man sagen, dass es vielleicht anders gelaufen wäre, wenn uns Felipe nicht aufgehalten hätte, wir wussten aber ohnehin, dass wir auf unsere Reifen aufpassen müssen. Das Auto fühlte sich jedenfalls sehr gut an, und das gibt mir für Bahrain viel Selbstvertrauen." Dennoch war es für Grosjean in China frustrierend, dass er nicht überholen konnte: "Das war am Sonntag ziemlich schwierig, trotz der langen Geraden - und zwar für alle. Kamui hat mich blockiert, und ich denke, dass mein Tempo sonst viel besser gewesen wäre, aber das ist Teil des Rennens. Manchmal steckt man im Verkehr, und manchmal kann man frei fahren. Die Strategiejungs tun ihr Bestes, damit man ein paar Runden ungestört fahren kann."

Bahrain für Grosjean kein Neuland

Er glaubt, dass China für ihn erst der Anfang einer starken Saison ist: "Alles lief gut, und es gab nur ein paar kleine Fehler. Beim nächsten Mal wird es noch besser." Schon in Bahrain? Die Strecke kennt er aus der GP2 Asia aus dem Jahr 2008: "Ich fuhr dort damals für ART. Wir holten die Pole-Position, die Schnellste Runde und den Sieg - es ist immer schön, ein Full House zu haben. Auch aus meiner Zeit als Pirelli-Testfahrer habe ich dort etwas Erfahrung sammeln können - hoffentlich hilft mir das, um mit dem E20 rasch auf Speed zu kommen." Nachdem man 2010 beim bisher letzten Grand Prix von Bahrain eine längere Streckenführung nutzte, wird dieses Jahr wieder die herkömmlich Variante befahren - für Grosjean kein Problem: "Ich habe echt ein Glück, denn ich bin die Strecke schon in beiden Variaten gefahren, daher habe ich kein Problem." Dennoch "hängt" es "vom Auto ab", ob er das Rennwochenende geniessen wird: "Mit einem guten Auto geniesst man die Strecke, mit einem schlechten nicht. Bahrain ist eine gute Strecke. Es gibt einige heftige Bremspunkte, ein paar interessante Richtungsänderungen wie die Doppel-Links in der Mitte der Rennstrecke. Ich denke, dass der E20 dort gut laufen wird. Wir haben eine ziemlich gute Balance, und ich bin sicher, dass wir ein starkes Ergebnis einfahren können." Grosjean hofft wie vor dem Rennen in Schanghai auf ein ordentliches Qualifying und ein ordentliches Rennen. Das Auto sollte gut laufen, das Wetter sollte während des gesamten Wochenendes gleich bleiben - hoffentlich! Schauen wir mal, was wir erreichen können."

Lopez über das "MTV-Syndrom"


In der heutigen Zeit sind alle Informationen zu allen Themen ständig verfügbar. Jeder kann mit jedem jederzeit in Kontakt treten. Die Software dafür gibt es zwar schon seit einigen Jahren, doch der Höhepunkt der ständigen Erreichbarkeit scheint immer noch nicht erreicht zu sein. Wissenschaftler haben für das Phänomen, jederzeit Informationen und Produkte haben zu wollen, unlängst einen eigenen Begriff geschaffen: Sofortness. Plattformen wie Facebook und Twitter haben diese Sofortness weiter vorangetrieben. Selbstverständlich verschloss sich auch die Formel 1, Werbeplattform für zahlreiche Hersteller von Computern und Produkten für die Unterhaltungsindustrie, diesem Trend nicht. Manch einer spricht aufgrund der aktuellen Flut an Inhalten schon vom zweiten MTV-Syndrom. Dazu zählt auch Gerard Lopez, Vorstandsvorsitzender beim Lotus-Rennstall. "Wir hatten das MTV-Syndrom", so Lopez. "Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre haben die Kids auf einmal Videoclips geschaut. Jetzt haben wir ein zweites MTV-Syndrom. Wir leben in einer Welt, in der man Informationen und Inhalte von so vielen Geräten bekommen, dass jeder alles anschauen kann. Dadurch entsteht in der Altersgruppe zwischen 16 und 30 der so genannte Dualscreen-Effekt. Die Kids schauen Fernsehen und nebenbei noch auf irgendein anderes Gerät, ob iPad, iPhone oder ihren PC. Teilweise sogar unterschiedliche Dinge." Lopez sieht diese Entwicklung als Problem für den Sport im Allgemeinen an. Die Formel 1 habe jedoch einen entscheidenden Vorteil im Vergleich zu anderen Sportarten. Lopez: "Die jungen Verbraucher sind nicht mehr konzentriert bei einer Sache dabei. Dieses Problem hat die Formel 1 wie alle anderen Sportarten. Der Vorteil der Formel 1 ist, dass wir in Ländern wie Indien oder China unterwegs sind, wo es eine sehr junge Population gibt, die noch gar nichts von unserem Sport weiss. Wir hätten also die Möglichkeit, einen grossen Anteil da abzuschöpfen, wenn wir sie mit den richtigen Informationen bedienen."

18.4.2012