Start von HRT in Melbourne gefährdet?

Ob HRT am Grand Prix von Australien teilnehmen

kann, ist derzeit unklar

Nach dem kurzen Shakedown mit dem neuen F112 am 5. März in Barcelona sah es fast schon so aus, als sei die Teilnahme am Saisonauftakt in Melbourne für HRT gesichert, doch nun kommen wieder neue Zweifel auf. Denn laut Informationen scheint das auf morgen verschobene Scrutineering eines Chassis nur die Spitze des Eisbergs zu sein.

Hinter den mutmasslichen Schwierigkeiten steckt möglicherweise, dass HRT die Crashtests wegen der Verspätung im Design- und Produktionsprozess des F112 unter grossem Zeitdruck absolvieren musste. Der Crashtest des Überrollbügels wurde mehrfach nicht bestanden, doch wie nun durchsickert, soll auch beim seitlichen Quetsch-Crashtest nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Offenbar hat HRT mit dem Verbundstoff-Material der Karosserie getrickst.

Normalerweise wird für das Bodywork eine Verbundstoff-Struktur aus Kohlefaser/Aluminium-Honigwaben verwendet. Das Technikerteam, geführt von Chefingenieur Toni Cuquerella, schickte dementsprechend auch vorab solche Verkleidungsproben an die FIA. Als das Monocoque jedoch zum ersten Mal dem seitlichen Quetsch-Crashtest unterzogen wurde, war das vorgesehene Aluminium bereits durch Nomex, eine extrem hitzebeständige Aramidfaser, ersetzt.

Beim ersten Crashtest wurde wie üblich eine Referenzlinie gesetzt. Die Vorschriften besagen, dass alle weiteren Chassis in Sachen Verwindung um maximal 20 Prozent von dieser Referenzlinie abweichen dürfen. Doch HRT flog mit Nomex-Verkleidung bei den nächsten Crashtests durch, sodass man kurzerhand auf die Idee kam, man könne das Nomex doch wieder gegen Aluminium austauschen. Das ist ohne vorherige Genehmigung durch die FIA illegal.

Ob man diese Abweichungen im Materialbereich freilich vor Ort in Melbourne bei der technischen Abnahme überhaupt feststellen kann, darf bezweifelt werden. Doch sollten sich die Informationen erhärten, dann ist nicht nur die Teilnahme von Pedro de la Rosa gefährdet, dessen Chassis noch nicht durch das Scrutineering ist, sondern auch jene von Narain Karthikeyan. Denn dessen Nomex-Verbundstoff weicht ebenfalls von den Aluminium-Proben ab, die ursprünglich eingereicht wurden.

Sollte in Melbourne tatsächlich noch ein Problem beanstandet werden, ist unklar, wie schnell HRT reagieren und die Boliden anpassen kann. Chassis Nummer drei steht derzeit noch bei Carbo Tech in Österreich - theoretisch denkbar, dass dieses bereits für den Grand Prix von Malaysia in einer Woche einsatzbereit sein könnte. Die HRT-Zulieferer Carbo Tech und Holzer tragen für die Materialproblematik übrigens keine Verantwortung.

HRT beantragt Aufschub


Zwar ist es HRT gelungen, vergangene Woche im Rahmen eines PR- und Drehtags zumindest noch einen kurzen Shakedown mit dem ersten fertigen Chassis zu absolvieren, doch die Teilnahme beider Autos am Grand Prix von Australien ist noch nicht gesichert. Denn wie die Kollegen von 'Autosport' berichten, hat der spanische Rennstall beim heutigen Scrutineering in Melbourne nur ein Auto abnehmen lassen, das zweite aber noch nicht. Das könnte theoretisch zum Problem werden, denn ohne Abnahme durch die FIA-Rennkommissare wird laut Artikel 24.3 des Sportlichen Reglements kein Auto zum Grand Prix zugelassen. Allerdings ist in Artikel 24.2 von einer möglichen "Sondererlaubnis" die Rede, die HRT nun beantragt hat. Bedeutet konkret: Für die Abnahme des zweiten Chassis wurde ein Aufschub gewährt, wonach das Scrutineering bis allerspätestens morgen um 11:00 Uhr erfolgen muss. Trainingsbeginn ist um 12:30 Uhr. Offenbar ist es den Mechanikern aufgrund des Zeitdrucks nicht gelungen, beide Chassis komplett zusammenzubauen. Das muss nun über Nacht nachgeholt werden.

HRT kämpft in Melbourne erneut gegen Windmühlen


Dreieinhalb Monate nach dem Saisonfinale 2011 in Brasilien beginnt am übernächsten Wochenende (16. bis 18. März) in Australien die neue Formel-1-Saison. HRT nimmt diese genau wie im Vorjahr ohne ernsthafte Testfahrten mit dem neuen Fahrzeug im Vorfeld in Angriff. Der F112 wurde am Montag dieser Woche im Rahmen eines "Filmtags" auf dem Circuit de Catalunya zum ersten und einzigen Mal bewegt. Nach der umfassenden Umstrukturierung des Teams im Verlauf der zurückliegenden Monate steht den beiden Piloten Pedro de la Rosa und Narain Karthikeyan in Melbourne eine denkbar schwierige Aufgabe bevor. "Man kann es kaum glauben, aber das erste Rennen der neuen Saison steht tatsächlich unmittelbar bevor", sagt Luis Perez-Sala, der im Dezember den Posten des Teamchefs bei HRT von Colin Kolles übernahm. "Wir haben drei Monate lang intensiv gearbeitet. Jetzt sind sowohl das Team als auch das Auto für die große uns bevorstehende Aufgabe bereit", sagt der HRT-Boss, der den schwierigsten Teil allerdings noch vor sich sieht: "Wir wissen, wo wir stehen, wissen aber auch, wo wir hin wollen. Ich bin überzeugt, dass wir dank unseres Teamgeists und der Opfer, die wir gebracht haben, unser Ziel erreichen werden." Rundenzeiten innerhalb der 107-Prozent-Marke der Pole-Position dürften in Melbourne angesichts mangelnder ernsthafter Vorbereitung bereits als Erfolg gewertet werden. Für de la Rosa, der in diesem Jahr sein Comeback als Stammfahrer in der Formel 1 gibt, geht es in Australien zunächst darum, "das Auto auszuprobieren und den Lernprozess fortzusetzen". Der Spanier verweist auf die Wichtigkeit der Freien Trainings am Freitag und Samstag, "um für das Qualifying und das Rennen so gut wie möglich vorbereitet zu sein. Natürlich hätten wir im Vorfeld gern mehr Kilometer zurückgelegt", bedauert de la Rosa, stellt es aber als bemerkenswerte Leistung heraus, "es mit einem neuen Auto und praktisch einem komplett neuen Team überhaupt nach Australien geschafft zu haben". Nun seien bei HRT Tugenden wie Ernsthaftigkeit und Geduld gefragt. Im Hinblick auf eine gute Rundenzeit im Albert Park stellt der Spanier die Faktoren "Stabilität auf der Bremse, gute Traktion und hohen Topspeed sowie DRS" als entscheidend heraus.

Zehn Runden in Barcelona als Basis für die Saison

Teamkollege Karthikeyan fühlt sich trotz bisher nur zehn zurückgelegter Runden in Barcelona am Steuer des HRT F112 "vor dem Grand Prix von Australien in guter Stimmung", wie er betont. "Für uns war das der erste Kontakt mit dem neuen Auto. Wir gingen da noch nicht ans Limit", sagt der Inder mit Blick auf den Shakedown auf dem Circuit de Catalunya am Montag und fügt an: "Für uns war es wichtig, den Ball ins Rollen zu bringen." Der Verzicht auf ernsthafte Testfahrten, der unter anderem durch diverse Verzögerungen bei den Crashtests zustande kam, sei laut Karthikeyan "nicht ideal, aber jetzt müssen wir nach vorn blicken". Das ganze Team werde nun sein Bestes geben, um weitere Fortschritte zu machen. "Wir bewegen uns in die richtige Richtung", ist der Inder überzeugt. Im vergangenen Jahr schaffte HRT in Melbourne ganze fünf Runden im dritten Freien Training und scheiterte an der Qualifikation für das Rennen. "Diese Erinnerung möchte ich in diesem Jahr auslöschen", so Karthikeyan.

15.3.2012