Sauber: Es geht auch ohne Technikchef

Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn

ist überzeugt, dass die Schweizer Mannschaft auch weiterhin ohne nominellen Technikdirektor Erfolg haben kann

Vier Podestplätze und insgesamt 124 WM-Punkte stehen bei Sauber vor dem Saisonfinale der Formel 1 an diesem Wochenende in Interlagos zu Buche. Die Ausbeute der Schweizer war somit deutlich besser als im Vorjahr. 2011 hatte das Team aus Hinwil in 19 Rennen gerade einmal 44 Zähler geholt. Die Basis für die Erfolge dieses Jahres lag im guten Sauber-Ferrari C31, den der frühere Technikchef James Key gemeinsam mit seinem Stab entwickelt hatte.

Der Brite, der das Team wegen "unterschiedlicher Auffassungen" bereits im Februar überraschend verliess, dockte nach einem kurzen Intermezzo im Rahmen des Lotus-LMP2-Projektes in der WEC mittlerweile als Technikdirektor bei Toro Rosso an. Er gilt als der Vater der Erfolge von Sergio Perez und Kamui Kobayashi in dieser Saison. Die Position des nominellen Technikdirektors wurde bei Sauber nach dem Abschied von Key bislang nicht wieder besetzt.

Dieses Konzept sei aufgegangen, meint Teamchef Monisha Kaltenborn. "Die Arbeit hat sich im Grunde überhaupt nicht verändert. Wir haben vielleicht, was die Aussenwahrnehmung betrifft, ein Konzept, das nicht von uns erfunden wurde, sondern das von vielen Teams umgesetzt wird, auch wenn man sich grosse Teams ansieht. Wir haben das einfach nach aussen hin kommuniziert und gesagt, dass es niemanden gibt, der diese Position innehat", sagt die Österreicherin.

Es habe sich im Verlauf dieser Saison eindeutig gezeigt, dass man in den Bereichen Aerodynamik, Design oder Fahrzeugdynamik "auch vernünftige Menschen" habe, die gemeinsam alle Aufgaben sehr gut bewältigen könnten. "Es muss für alle gut sein und es muss alles zusammenpassen. Da geht es nicht um Einzelne", sagt Kaltenborn. "Das hat sehr gut funktioniert. Wir hatten die Änderungen sehr früh im Jahr, aber trotzdem sind die Entwicklungen, die wir gemacht haben, sehr gut an der Strecke angekommen und haben uns erlaubt, weiterhin konkurrenzfähig zu sein. Das spricht für die Herren."

Kamui verdient definitiv ein Formel-1-Cockpit


Die Formel-1-Karriere von Kamui Kobayashi steht vor dem Aus. Durch die Bekanntgabe, dass Sauber 2013 neben Nico Hülkenberg mit Esteban Gutierrez an den Start gehen wird, ist der Japaner nun auch offiziell bei seinem derzeitigen Arbeitgeber kein Thema mehr. Da er keinen Geldgeber an der Hand hat, ist er für die Teams, die noch freie Plätze zur Verfügung haben, keine attraktive Option.

Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn behauptete zuletzt vehement, dass ein fehlender Sponsor nicht den Ausschlag geben würde, ob man den Publikumsliebling weiter verpflichtet. Nach dem Rauswurf spricht sie von einer "sehr schwierigen Entscheidung" und lobt ihn über den grünen Klee: "Wir kommen mit ihm sehr gut aus, er ist ein sehr guter Fahrer, und darüber hinaus hat er sich als sehr guter Teamplayer erwiesen, was eine seiner ganz grossen Stärken ist. Und auch menschlich ist er ein wirklich netter Kerl. Das gesamte Team mag ihn. Und wenn man den Fahrer wirklich mag und er gut zu einem passt, dann werden solche Entscheidungen noch schwieriger."

Keine Kritik an Kobayashi

Die traurige Nachricht erfuhr Kobayashi laut Kaltenborn bei einem Gespräch "vor der Bekanntgabe. Diese Kommunikation hat immer stattgefunden. Das war uns wichtig - er wurde immer über den Stand der Dinge auf dem laufenden gehalten." Doch wenn das Geld nicht den Ausschlag gab, was war dann der Grund für die Trennung? Hat Kobayashi nach drei Jahren den Eindruck erweckt, in seiner Entwicklung am Limit angelangt zu sein? Auch das will die Österreicherin nicht bejahen: "Schwer zu sagen, denn es gab so viele Ups und Downs - bei ihm und beim Team. Dem Team fehlte dieses Jahr die Konstanz, sonst wären wir in der Konstrukteurs-WM in einer ganz anderen Position." Sie ist der Meinung, dass bei Kobayashi viel Potenzial vorhanden sei: "Das Ergebnis der Entwicklung unseres Autos während der Wintermonate hat sehr viel mit seinem Input zu tun. Sein Feedback war sehr wertvoll."

Schwerer Schlag für Japan

Der Rauswurf Kobayashis ist auch ein schwerer Schlag für die Motorsportnation Japan: Durch die Ausstiege von Honda und Toyota 2008 und 2009 ist kein japanischer Automobilkonzern mehr in der Formel 1 vertreten, nun dürfte auch der einzige Piloten den Sport verlassen. Und das, obwohl Kobayashi mit seinem tollen dritten Platz beim Heimrennen in Suzuka für grosse Euphorie gesorgt hat. Kaltenborn ist bewusst, dass diese Situation für Japan aus Sicht des Motorsports "ein Risiko" bedeutet: "Wenn wir uns an Kamuis Podestplatz erinnern, wie das Publikum reagiert hat und wie grossartig die Atmosphäre war - ich bin sicher, dass das nicht passiert wäre, wenn kein japanischer Fahrer auf dem Podest gestanden wäre. Ich hoffe für Kamui, dass er die Unterstützung in Japan findet, um in der Formel 1 zu bleiben. Ich finde, dass er definitiv ein Fahrer ist, der es verdient hätte."

Kobayashi scheint die Hoffnung hingegen bereits aufgegeben zu haben, auch in der kommenden Saison in der Startaufstellung zu stehen. "Ich glaube, da ist die Chance 2014 mit einem Topteam grösser", richtet er seinen Fokus bereits in die fernere Zukunft. "Ich arbeite intensiv daran, einen Sponsor zu finden."

Esteban und Telmex verschiedene Dinge


Am Donnerstag liess der scheidende Sauber-Pilot Sergio Perez in seiner Medienrunde die Katze aus dem Sack: "Das Team hat mit Nico einen guten und erfahrenen Piloten sowie mit Esteban einen starken Teamkollegen." Auf die Frage, ob das nun heisse, dass Ersatzpilot Esteban Gutierrez als sein Nachfolger fix sei, schmunzelte der Mexikaner bloss - und meinte: "Wir warten auf die Bekanntgabe."

In der Formel 1 ist es äusserst unüblich, dass Fahrerbekanntgaben nicht auf offiziellem Wege stattfinden. Am Tag danach folgte dann schliesslich die Pressemitteilung, wonach Gutierrez 2013 seinen Landsmann Perez ersetzen werde. Die Optik bleibt unglücklich. Teamchefin Monisha Kaltenborn gibt sich heute unwissend, dass sich Perez am Vortag verplaudert hatte: "Ich weiss nicht, was Sergio gesagt hat."

Kaltenborn spricht von sofortiger Bekanntgabe

Auf die Geschehnisse hingewiesen, erklärt die Österreicherin, dass es keinen Zusammenhang mit dem Timing der Bekanntgabe gäbe: "Es wurden so viele Dinge gesagt, so viele Leute wurden mit uns in Verbindung gebracht. Für uns ist es wichtig, dass wir es sehr kurzfristig entschieden haben. In dem Moment, wo es klar war, gingen wir damit an die Öffentlichkeit." Durch die Entscheidung steht die Fahrerpaarung des Schweizer Rennstalls für die kommende Saison jedenfalls fest: Mit Nico Hülkenberg und Gutierrez setzt man auf zwei neue Piloten - Kamui Kobayashi wird nach drei Jahren vor die Tür gesetzt. Kaltenborn ist stolz auf ihr neues Duo, das sie als "starke Fahrerpaarung" bezeichnet. "Mit Nico haben wir einen erfahrenen Piloten, der seine dritte Saison bestreiten wird", setzt die Teamchefin auf eine klare Rollenverteilung. "Wir waren von seinen Leistungen sehr beeindruckt. Wenn er eine Möglichkeit sieht, dann nützt er sie und bringt die Punkte nach Hause. Er ist sehr effizient. Das war bei uns eine der Schwächen - wir hatten nicht diese Konstanz und nützen nicht alle unsere Chancen. Dafür ist er der Richtige."

Welche Rolle spielte Telmex?

Sie sieht Gutierrez in der Tradition junger aufstrebender Talente wie Heinz-Harald Frentzen, Kimi Räikkönen oder zuletzt Perez, die Sauber als Sprungbrett nutzten: "Esteban haben wir wirklich als jungen, talentierten Fahrer, der in die GP3 kam, unter unsere Fittiche genommen, denn wir hatten das Gefühl, dass er das Talent hat." Sie vergleicht ihn mit seinem Vorgänger: "Bei Sergio hat das Team tolle Arbeit geleistet, ihn in zwei Jahren dorthin zu bringen, wo er jetzt ist. Wir glauben, dass Esteban sehr talentiert ist. Jetzt liegt es an uns, ihm diese Umgebung zu bieten, wo er sein Talent zeigen und sich entwickeln kann." Angenehmer Nebeneffekt bei Gutierrez: Er könnte die mexikanischen Geldgeber rund um den reichsten Mann der Welt, Telmex-Boss Carlos Slim, noch länger an der Stange halten, schliesslich endet der Sponsorenvertrag Ende 2013. Der Mexikaner hatte schon vor kurzem angedeutet, dass für ihn ein Landsmann im Cockpit eine Art Grundbedingung sei. Kaltenborn behauptet aber, dass die Beförderung von Gutierrez eine rein sportliche Entscheidung war: "Grundsätzlich muss ich zu Esteban sagen, dass er und Telmex zwei verschiedene Dinge sind. Er stammt nicht aus der 'Escuderia Telmex'. Natürlich gibt es eine gewisse Verbindung, denn Telmex und Carlos Slim-Domit haben diese Vision des Motorsports in Mexiko und Lateinamerika aufgebaut. Es ist aber ganz klar die Entscheidung des Teams, ihn bekanntzugeben und ihn als unseren Rennfahrer zu nominieren."

Gutierrez über Telmex-Unterstützung dankbar

Für Alex Wurz, der als Leiter der FIA-Academy und als Williams-Fahrercoach Erfahrung mit Nachwuchspiloten hat, kommt die Entscheidung des Sauber-Teams nicht überraschend, wie er gegenüber dem 'ORF' klarstellt: "Mit Gutierrez konnte man rechnen. Da gibt es diese mexikanische Connection." Er hält ihn aber für durchaus talentiert: "Der junge Mann ist ein sehr guter Nachwuchsfahrer, der in den unteren Kategorien gute Leistungen gezeigt hat." Gutierrez selbst, der als grösste bisherige Erfolge den Gewinn der GP3-Meisterschaft 2010 und Platz drei in der GP2-Saison 2012 (drei Siege) zu Buche stehen hat, liebäugelt schon länger mit dem Sauber-Cockpit: "Ehrlich gesagt, gab es immer einen Plan mit diesem Team. Jedes Jahr gab es natürlich unterschiedliche Möglichkeiten, aber wir haben diesen Weg verfolgt." Auf die Frage, wie viel Geld er zum Teambudget beiträgt, gibt er keine klare Antwort: "Der Fahrer ist natürlich immer Teil eines Gesamtpakets. Für ein Team ist es sehr wichtig, das Geld zu haben, um es in die Entwicklung zu investieren." Er dementiert nicht, dass ihm Telmex-Boss Slim finanziell unter die Arme greift: "Natürlich ist die Unterstützung der Sponsoren sehr wichtig, vor allem von Carlos." Er freut sich aber auch darüber, dass mit ihm einige Mexikaner in die Formel 1 gekommen sind: "Er hat auch eine grosse Leidenschaft für den Rennsport. Das ist der Idealzustand. Man verbringt dadurch seine Zeit auch mit Landsleuten."

Ist Gutierrez reif für die Formel 1?

Trotz des vertrauten Umfelds wird Gutierrez aber nun ins Haifischbecken der Formel 1 geworfen - ob er darin schwimmen kann, ist für viele noch ein Fragezeichen. Sogar für ihn selbst: "Ehrlich gesagt weiss ich noch nicht, ob ich schon bereit bin. Nächstes Jahr werde ich das wissen. Ich habe aber das Selbstvertrauen, dass ich diesen nächsten Schritt in meiner Karriere machen kann." Zumal er bei Young-Driver-Tests und beim Freitag-Training in Indien bereits Erfahrung im Sauber-Boliden sammeln durfte. "Ich habe meine Zeit auf der Strecke genutzt, um mein Wissen über das Auto zu erweitern", zeigt er sich mit seiner Herangehensweise zufrieden. "Nicht nun in Hinblick auf den Fahrstil, sondern auch auf das Feedback, denn ich weiss, dass das ein Schlüsselfaktor in der Formel 1 ist, weil es die Entwicklung des Teams beeinflusst." Diesbezüglich wird aber ohnehin der routiniertere Hülkenberg die Marschrichtung vorgeben, wie Kaltenborn klarstellt: "Wir erwarten von Nico, dass er mehr Einfluss auf die Führung der Ingenieure und die Entwicklungsrichtung hat, weil er mehr Erfahrung hat." Auch wenn Gutierrez in den Nachwuchsjahren durchaus seinen Speed bewiesen hat, fiel er aber auch immer wieder mit Fehlern auf.

Fehlende Konstanz als Schwäche

Ihm ist seine Schwäche bewusst: "Es stimmt, dass ich in der GP2 keine Konstanz erreicht habe, aber ich sehe 2012 trotzdem als die lohnendste Saison meiner Karriere. Jetzt möchte ich mich in der Formel 1 stabilisieren. Wenn mir das gelungen ist, dann möchte ich Topresultate einfahren." Dass der Druck durch die Bekanntgabe nun größer wird, ist ihm bewusst: "Dadurch wird es noch intensiver. Deswegen will ich es so ruhig wie möglich und mit kühlem Kopf angehen, um bestmöglich in die Zukunft blicken zu können." Kaltenborn versucht, den Druck auf den Schultern des 21-Jährigen etwas zu lindern: "Am wichtigsten ist es für ihn, dass er aus diesen Fehlern lernt. Er weiss, wie das Team funktioniert, und hoffentlich haben wir nächstes Jahr ein gutes Auto. Es ist Teil dieser ganzen Entwicklung."

Kaltenborn reagiert auf Kritik

Dass er für den Schritt bereit ist, steht für sie ausser Frage: "Wir glauben, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist." Auch die Kritik an der Entscheidung, den populären und routinierten Kobayashi durch den unerfahrenen Gutierrez zu ersetzen, nimmt sie locker: "Wir wollen nicht vergleichen, denn es ist eine ganz andere Situation. Als Kamui zu diesem Team kam, hatte er auch nicht so viel Erfahrung. Wir wurden dafür kritisiert. Das Gleiche passierte mit Sergio, auch dafür wurden wir kritisiert." Zumal auch Perez in der GP2 nie Meister wurde. "Man muss sich die Frage stellen, wie repräsentativ diese Serien sind", hinterfragt Kaltenborn, ob man aus den Ergebnissen der Nachwuchsserien ernsthafte Rückschlüsse ableiten kann. "Daher ist es wichtig, wenn man von einem Fahrer überzeugt ist, dass man ihm ein gutes Auto gibt."

Dass man mit dem Youngster ein Risiko eingeht, ist ihr aber klar: "Es besteht immer ein Risiko. Wir waren in unserem Team schon oft in dieser Situation - das letzte Beispiel mit Sergio, bei dem wir auch wussten, dass ein Risiko besteht. Bei Esteban ist die Situation vielleicht ein bisschen anders, denn er steht mit dem Team schon länger in Verbindung, er ist schon länger Teil des Teams, war vor allem dieses Jahr integriert. Er weiss viel besser, wie das Team funktioniert. Wir hoffen, dass wir einmal mehr das richtige Umfeld bieten, damit er zeigen kann, wie gut er ist."

Und was meint BLICK ?


Roger Benot, der alte Formel-1-Insider, schreibt in BLICK: Rast Sauber 2013 in eine unsichere Zukunft? Es ist ein altes Formel-1-Gesetz, dass man nie beide Fahrer austauschen sollte. Die Hinwiler taten es. Dazu gehört viel Selbstvertrauen und die Hoffnung auf ein erneut gutes Auto. Mit Nico Hülkenberg kaufte man wenigstens den besten und vor allem den schnellsten Mann auf dem kleinen Transfermarkt.

Ob der bisherige Sauber-Ersatzpilot Esteban Gutiérrez der richtige Nebendarsteller ist, werden schon die ersten Rennen in Australien und Malaysia zeigen.

Viele zweifeln. Und beim bisherigen Hülkenberg-Arbeitgeber Force India fragt man sich, ob Sauber genügend Kopfkissen hat. Denn der schnelle Deutsche würde neben Gutiérrez sicher bald einschlafen!

Sauber geht mit dem netten GP2-Mexikaner ein hohes Risiko ein. Da hätte man auf dem Pokertisch gleich mit dem Holländer Robin Frijns zuschlagen können oder sogar müssen. In Hinwil waren einige dafür. Das Geld soll aber diesen Schachzug verhindert haben.

Auch 2001 hatte Sauber alles riskiert – und holte nach nur einem Testtag in Mugello den unbekannten Kimi Räikkönen an Bord. Der Finne hatte damals genau 23 Autorennen auf dem Buckel. Frijns war kürzlich in Abu Dhabi bei der Sauber-Premiere gleich superschnell.

Und der knallharte Fighter aus Maastricht hat in den letzten sechs Jahren jede Serie, in der er gestartet ist, gewonnen!

24.11.2012