Pirelli rechnet mit einem Stopp

Paul Hembery verteidigt die konservative Auswahl

der Reifenmischungen für Austin

Der Freitag in Austin markierte für die Formel 1 den ersten Fahrbetrieb in den Vereinigten Staaten seit dem 17. Juni 2007, dem Tag des letzten in Indianapolis ausgetragenen Grand Prix der USA. Für Reifenhersteller Pirelli waren es gar die ersten Runden auf US-amerikanischem Boden seit dem Saisonauftakt am 11. März 1990 in Phoenix.

Anders als der wenig populäre Stadtkurs in der Wüstenmetropole Arizonas erntete die nagelneue permanente Grand-Prix-Piste im US-Bundesstaat Texas reichlich Lob von allen Seiten. Aufgrund der Tatsache, dass noch nie zuvor auf dem Circuit of The Americas gefahren wurde, stellte der italienische Reifenausrüster den Teams am Freitag einen zusätzlichen Satz der härteren der beiden mitgebrachten Mischungen zur Verfügung, um den Fahrern so die Möglichkeit zu geben, mehr Runden als an einem Freitag üblich zurückzulegen. Mangelns Erfahrungswerten aus Austin entschied sich Pirelli bei der Auswahl der Mischungen für die konservativste aller möglichen Kombinationen: Hard und Medium. Im McLaren-Lager erntet der Reifenhersteller dafür ein freundliches Kopfnicken. "Wir fühlen uns mit den Reifen hier wohler als vor ein paar Jahren in Indianapolis. Konservativ ist nicht so schlecht", sagt Teamchef Martin Whitmarsh.

Das von Whitmarsh angesprochene Michelin-Reifendrama in Indianpolis 2005 habe im Zuge der Pirelli-Entscheidung aber keine Rolle gespielt, wie Motosportchef Paul Hembery betont: "Wir treffen unsere Auswahl ausgehend davon, was für unsere Firma das Richtige ist. Anhand der Simulationen der Strecke legten wir uns fest und entschieden uns ganz bewusst für eine konservative Auswahl der Mischungen, da eine neue Strecke immer eine Menge Unsicherheitsfaktoren mit sich bringt."

Anhand der Erkenntnisse aus den beiden Freien Trainings am Freitag spricht Hembery in Bezug auf die Asphaltbeschaffenheit von "Strassenbelag auf einer permanenten Rennstrecke - ganz anders als auf einigen der älteren Strecken" und sieht sich in der konservativen Wahl bestätigt. Wie auf den meisten neuen Rennstrecken üblich, bot die Oberfläche während der ersten Runden am Vormittag extrem wenig Grip. "Es gibt hier einen guten Blower, der die Strecke sauber bläst, aber das Reinigungssystem aus Abu Dhabi hätte den Kurs mit Sicherheit deutlich schneller sauber gefegt", glaubt der Brite.

Niedrige Temperaturen bereiten Kopfzerbrechen

Während der anfängliche Sand erwartet wurde, machten die ungewöhnlich niedrigen Temperaturen in Texas allen Beteiligten einen Strich durch die Rechnung. Bei Lufttemperaturen im Bereich von 20 Grad und Asphalttemperaturen im Bereich von 30 Grad hatten die Piloten Mühe, die Reifen zum Arbeiten zu kriegen. "Die Temperaturen waren deutlich niedriger als erwartet. Wir gingen im Vorfeld davon aus, dass es rund 15 Grad wärmer sein würde", sagt Hembery und scherzt, dass das der zusätzliche Satz Hard-Reifen überflüssig war: "Angesichts der vorherrschenden Bedingungen hätten die Teams heute auch mit nur einem Reifensatz 80 Runden abspulen können."

Die Teams jedenfalls stehen derzeit noch vor einem Rätsel. "Ich würde sagen, dass es sehr schwierig ist, irgendetwas aus den Geschehnissen heute herauszulesen, denn die Strecke hat sich so stark und so schnell verändert. Ausserdem haben die Fahrer gleichzeitig die Strecke gelernt. Die Reifen gingen daher durch einen sehr unrealistischen Kreislauf", sagt McLaren-Technikchef Paddy Lowe. Teamchef Martin Whitmarsh glaubt, dass die konservative Reifenwahl seitens Pirelli die Suche nach dem perfekten Setup und der richtigen Strategie zusätzlich erschwert. "Mit wenig Sprit im Tank hatten wir heute noch Probleme. Mit viel Sprit kamen wir besser zurecht. Das lässt darauf schliessen, dass wir die Reifen mit wenig Sprit im Tank noch nicht richtig zum Arbeiten gebracht haben", spricht er die McLaren-spezifischen Probleme an.

In puncto Reifenabrieb gibt es laut Hembery "keine Probleme". Inzwischen ist man im Lager von Pirelli ist man inzwischen so schlau, dass der Motorsportchef den Zeitunterschied zwischen den beiden Mischungen Hard und Medium mit "rund einer halben Sekunde pro Runde" beziffert. Angesichts der Langlebigkeit der Reifen auf der nagelneuen Strecke deutet laut Hembery "vieles darauf hin, dass es am Sonntag nur einen Stopp gegen wird". Für eine abschliessende Prognose müsse man im Lager des italienischen Alleinausrüsters auf dem Reifensektor aber noch die letzten Datenanalysen des Freitags sowie die Wetterinformationen für den Sonntag abwarten.

Man darf nicht nur auf Pirelli zeigen

Williams-Fahrercoach Alex Wurz findet,

dass Pirelli über Gebühr kritisiert wird


Der Aachener Rennstreckenarchitekt Hermann Tilke holte sich beim Design des Kurses in Austin Rat bei Ex-Formel-1-Pilot Alex Wurz. Der Österreicher kennt daher den Kurs in Texas wie kaum ein anderer. Im Interview erklärt er, warum Pirelli nicht die alleinige Schuld an der zu harten Reifenwahl trägt, wieso es am ersten Trainingstag so viele Dreher gab und wie Sebastian Vettel von seinen technischen Problemen profitierte.

Frage: Alex, dein Eindruck von der Strecke?

Alex Wurz: "Die Strecke ist cool, ich kenne sie ja schon ein bisschen, habe beim Design mitgeholfen. Sie ist aber für den Pirelli-Reifen und den Geschmack der Fahrer noch zu rutschig. Der Staub aus Texas hat sich hier noch in den Poren des Asphalts niedergelegt, und jetzt rutschen die Fahrer. Man hat aber schon beim ersten Training gemerkt, dass sich die Rundenzeiten um acht Sekunden verbessert haben. Wenn dann der Grip kommt, sagen alle Fahrer, dass die Strecke sensationell ist.

Auch Pirelli musste etwas Kritik einstecken, weil man sich für die Mischungen Medium und Hard entschieden hat. Wäre es mit weicheren Reifen besser zum Fahren?

Natürlich, ganz logisch. Wenn man aber jetzt mit dem Finger auf Pirelli zeigt, dann muss man auch auf die Teams zeigen, denn sie haben auf ihren Simulatoren mit Rundenzeiten um 1:33 bis 1:34 geträumt. Sie haben dabei vergessen, dass ein neuer Asphalt, der hier in Texas noch dazu staubig ist, lange braucht, um Bodenhaftung aufzubauen. Dementsprechend musste Pirelli mit diesen schnellen Zeiten rechnen. Die Energie, die in den schnellen Kurvenpassagen einwirkt, schreit nach den Mischungen Hard und Medium. Dass der Asphalt jetzt aber so rutschig ist und der Reifen gar nicht die Haftung aufbaut, ist zur Hälfte die Schuld Pirellis, zur anderen Hälfte die Schuld der Teams. Das muss man ganz ehrlich sagen.

Viele Fahrer haben sich langsam herangetastet. Lag das an den Reifen oder auch daran, dass es ein neuer, unbekannter Kurs ist?

Das lag hauptsächlich daran, dass alle gerutscht sind. Wenn das Auto dann über die Vorderachse rutscht, dann wird der Reifen warm und erzeugt auf einmal die optimale Temperatur - aber erst nach zehn bis 20 Metern Rutschphase. Dann greift plötzlich die Vorderachse, dann kommt auch die Hinterachse - und dann passieren solche Dreher, wie wir sie heute oft gesehen haben und die sich lange ankündigen. Das ist ein Problem des Pirelli-Reifens, aufgrund der Temperatur.

Vettel musste aufgrund eines Lecks im Wasserkreislauf lange zusehen, dann gelang ihm aber eine Superrunde.

Für ihn war es gut, dass er später rausgefahren ist, denn dadurch hat er sich die Reifen nicht staubig gemacht - die waren dann in etwas besserem Zustand als die der Konkurrenten. Die Strecke wurde für ihn quasi saubergefahren, und diese Strecke hat er dann auch noch super beherrscht. Es ist auch eine Strecke, die Red Bull entgegenkommt.

17.11.2012