Red Bull will Alonso in Ungarn unter Druck setzen

Red Bull will Fernando Alonso in der WM nicht

entwischen lassen

Nach dem turbulenten Deutschland-Grand-Prix, wo Red Bull wegen Sebastian Vettels Überholmanöver neben der Strecke und umstrittener Motormappings mit den Regelhütern in Konflikt kam, geht es für die Weltmeistertruppe nun in Ungarn um einen erfolgreichen Abschied in die Sommerpause.

Im Vorjahr präsentierte sich Sebastian Vettel mit der Pole-Position auf dem Hungaroring stark und lag auch im Rennen eine Zeitlang Führung - schliesslich musste er sich aber McLaren-Pilot Jenson Button geschlagen geben. Mark Webber kam über den fünften Platz nicht hinaus.

Vettel warnt vor Tücken des Hungaroring

Für Vettel ist das Rennen in Budapest eine Rückkehr zu den Wurzeln, denn nach seinem BMW-Sauber-Auftritt als Ersatzmann für Robert Kubica 2007 in Indianapolis absolvierte der Heppenheimer noch im gleichen Jahr in Ungarn sein erstes Rennen als regulärer Einsatzfahrer. "Das Rennen in Budapest ist sehr populär, und die Stadt und die Donau bieten den Fans auch abseits der Strecke viele Möglichkeiten", weiss Vettel. Auch er outet sich als Fan der Hauptstadt von Ungarn: "Ich mag die Stadt sehr gerne, und ich habe 2007 mit Toro Rosso mein Debüt auf dem Hungaroring gegeben. Die Strecke selbst zählt zu den langsamsten im Kalender, aber als Fahrer sollte man sie nicht unterschätzen, da es viele Möglichkeiten gibt, um Fehler zu machen." Auch körperlich zählt der Ungarn-Grand-Prix zu den anstrengendsten Rennen des Jahres: "Es kann dort sehr heiss sein, und das bedeutet, dass die Strecke einem auch physisch sehr viel abverlangen kann. Dazu kommt, dass der Belag sehr wellig ist und man ordentlich durchgeschüttelt wird."

Webber wünscht sich Erfolg vor Sommerpause

Auch Teamkollege Webber
mag den Hungaroring: "Es handelt sich um einen guten, kleinen Austragungsort, und wir hatten dort in der Vergangenheit schon einige gute Rennen. Das Überholen war auf diesem Kurs nie einfach, aber es wird interessant sein, welche Performance die Autos dort liefern werden, da es ein sehr heisses Rennen ist." Doch was hält der australische Routinier von der Strecke? "Der mittlere Sektor ist extrem stressig, und man benötigt dort oben auf dem Hügel eine gute Balance", meint Webber. "Generell mag ich diese Strecke, ich fahre dort gerne, und natürlich wollen wir uns dort vor der Sommerpause gut schlagen."

Marko hofft auf Alonso-Ausfall

Das wäre auch für die Ausgangssituation im Titelkampf wichtig, denn Ferrari und Fernando Alonso liegen nach einer starken Phase inzwischen deutlich voran. Red Bulls Motorsportkonsulent Helmut Marko will sich dadurch nicht verunsichern lassen: "Es ist noch die Chance da. Ferrari kam mit Riesenschritten innerhalb kürzester Zeit an die Spitze. Sie haben inzwischen ein Auto, das überall schnell ist. Alonso ist in Hochform." Er weiss, dass man nun auf einen Ausfall des Spaniers hoffen muss. "Sonst wird es sehr schwierig", schliesslich habe man "44 Punkte Rückstand", verweist er auf die Situation von Vettel. Bei Webber beträgt der Rückstand 34 Punkte.

Rolle des Jägers als Vorteil?

Marko vergleich die Ausgangsbasis mit 2010, als Vettel wegen zahlreicher Defekte und Zwischenfälle bei Halbzeit im Hintertreffen war und doch noch Weltmeister wurde: "Damals war der Führende Hamilton, der bei der WM zum Schluss überhaupt nicht mehr mitgespielt hat. Es ist also noch alles offen, wir blicken nach vorne, sind voll motiviert und als Team stark. Ich würde unsere Chancen höher als 34 Prozent einschätzen." Inzwischen hat sich der Österreicher auch mit der Rolle des Jägers angefreundet: "Mark liegt nur 34 Punkte hinten. Da liegt unsere Stärke. Beide attackieren, was geht. Wer dann Weltmeister wird, das entscheidet sich aufgrund des Tempos. Wir wollen Alonso jagen, und da liegt unsere Chance."

Red-Bull-Mappings: Änderung noch vor Budapest?

Regelmässig im Kreuzfeuer: Der Red-Bull-Bolide von

Sebastian Vettel


Dass die Debatte um Red Bulls umstrittene Motormappings beim Grand Prix auf dem Hockenheimring nach dem Rennen nicht ausgestanden war, war allen Beteiligten klar. Die FIA hatte das Weltmeisterteam am Sonntagmorgen bezichtigt, im mittleren Drehzahlbereich mit einem deutlich niedrigeren Drehmoment-Output zu fahren als bei vorangegangenen Rennen. Das habe Einfluss auf die Aerodynamik und sei damit nicht im Sinne des Reglements.

Konkret meinte man damit, dass Red Bull das Drehmoment im mittleren Drehzahlbereich künstlich reduziert und die überschüssige Energie über den Auspuff abgibt - damit wird nicht nur das Durchdrehen der Hinterräder reduziert, sondern vor allem der Diffusor angeblasen, was zusätzlichen Abtrieb bringt. Genau das wollte die FIA in dieser Saison unbedingt verhindern, da die Entwicklungskosten in diesem Bereich in den vergangenen Jahren in die Höhe geschossen waren.

FIA plant Reglementklarstellung

Red Bull kam in Hockenheim mit einem blauen Auge davon: Nachdem der Technische Delegierte Jo Bauer einen Regelverstoß geahndet haben wollte, ruderten die Rennkommissare kurz vor dem Rennen zurück und konnten dem Weltmeisterteam nach Überprüfung des Reglements nichts nachweisen. Doch nun dürfte es noch vor dem Grand Prix von Ungarn eine Reglementklarstellung geben, die vermutlich Red Bulls Grenzgang verbieten wird. Laut 'Autosport' wird diese Klarstellung in den kommenden 48 Stunden veröffentlicht - also rechtzeitig, bevor am Freitag das Wochenende mit dem Freien Training gestartet wird. Es wird vermutet, dass die Drehmomentkurve ab dem Hungaroring mit einer Toleranz von nur zwei Prozent linear zur Drehzahlkurve verlaufen muss.

Marko wundert sich über Verhalten der Konkurrenz

Ursprünglich hatte man erwartet, dass es schon beim Treffen der Technischen Arbeitsgruppe der Formel 1 (die Technikchefs aller Teams sowie ein FIA-Verantwortlicher, in der Regel Rennleiter Charlie Whiting) am Montag zu heftigen Diskussionen über die Motormappings kommen würde, doch die Konkurrenzteams sprachen das Thema nicht an. Für Red Bulls Motorsportkonsulent Marko ein "unverständliches" Verhalten. "Es gab am Montag das Meeting, es wurde nicht ein einziges Mal dieses Projekt aufgezeigt", wunderte er sich gegenüber 'ServusTV'. "Der Vorfall kommt ja nicht von ungefähr. Es gibt ja immer wieder Leute, die so etwas forcieren. Sprich: Andere Teams. Und dann am Montag, wenn man es wirklich einmal fachlich und sachlich lösen könnte, wird es nicht einmal aufgegriffen." Daher ging er davon aus, dass das Reglement unverändert bleibt: "Alles bleibt gleich. Das geht ja nicht so, dass man von heute auf morgen sagt: Ein Mal machen wir es grün, ein Mal machen wir es blau. Es gibt ja für alles Richtlinien, technische Bestimmungen und Zusatzausführungen."

Will die FIA Red Bull aus dem Konzept bringen?

Der Österreicher stiess sich vor allem an der Art und Weise, wie Red Bull unmittelbar vor dem Rennen in Hockenheim mit den Unregelmäßigkeiten konfrontiert wurde und will dahinter eine System erkennen. Nachdem bereits am Samstag der Verdacht aufgekommen war, dass mit den Mappings am RB8 etwas nicht stimmt, hatte Red Bull die Sache laut Marko klargestellt und offengelegt. "Damit war die Sache erledigt", meint er. "Am nächsten Morgen um 9.55 Uhr geht von der FIA ein Statement raus, das sagt, dass Red Bull der Regelwidrigkeit mit dem Mapping überführt oder beschuldigt ist. Nicht der Verdacht, beschuldigt. Ohne dass wir oder Renault vorher vernommen wurden. Das ist die Zeit, die man vor einem Rennen für die letzten Vorbereitungen, für die Simulationen braucht."

Marko wehrt sich gegen Vorwürfe

Er kritisiert, dass sich das ungünstige Timing auch auf die Performance im Rennen ausgewirkt haben soll, denn "das Gros des Teams war damit beschäftigt, den Stewards die Unterlagen zu liefern, weshalb wir die Änderungen am Mapping gemacht haben." Abschliessend wehrt er sich gegen den Vorwurf, dass Red Bull nicht im Sinne des Reglements agiere: "Es steht nirgendwo, dass wir das Reglement nicht zu unseren Gunsten ausnutzen dürften. Natürlich haben wir eine Crew, die das genau durchleuchtet. Wie kann man das Reglement an die Grenze treiben, dass man innerhalb des Reglements ist, aber einen Vorteil hat? Da gibt es viele kleine Sache und dieses Mapping macht Renault. Wir sind nicht aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden, sondern weil wir innerhalb des Reglements sind."

Konkurrenz akzeptiert FIA-Entscheidung


Teamchef Christian Horner gab gerade ein Interview, als ihm in Hockenheim eine Notiz unter die Nase gehalten wurde. Daraus ging hervor: Jo Bauer, der Technische Delegierte der FIA, stellte bei einer Datenuntersuchung Unregelmässigkeiten beim Mapping der Renault-RS27-V8-Motoren im Heck der Red-Bull-Boliden von Sebastian Vettel und Mark Webber fest.

Bauer legte die Angelegenheit den Rennkommissaren vor - mit dem Verdacht, "dass der maximale Drehmoment-Output beider Motoren im mittleren Drehzahlbereich deutlich unter dem liegt, was bei vorangegangenen Veranstaltungen gesehen werden konnte. (...) Außerdem wird dieses neue Drehzahlmapping die aerodynamischen Eigenschaften beider Autos künstlich verändern, was im Widerspruch zur Technischen Richtlinie 036-11 steht." Die Kommissare stuften das Mapping als legal ein, stellten aber klar, dass sie "nicht alle Argumente des Teams akzeptieren", und sprachen auch bewusst vom "präsentierten Mapping", was zwischen den Zeilen suggeriert, dass man Red Bull verdächtigt, bei den Nachforschungen am Sonntag etwas anderes vorgelegt zu haben, als am Freitag und Samstag in Hockenheim verwendet wurde. Aber Tatsache ist: Man hatte keine Handhabe, Red Bull zu bestrafen.

Kein Protest gegen das Rennergebnis

Die Konkurrenzteams nahmen die Einschätzung zur Kenntnis und verzichteten auf ihr Recht, Protest einzulegen und die zweite Instanz zu bemühen. "Man muss die Entscheidung der Kommissare respektieren, denn sie haben alle Daten vorliegen. Wir haben das nicht", erklärt McLaren-Sportdirektor Sam Michael. "Wir sind uns zwar sehr sicher, was sie (Red Bull) machen, aber wir wissen es natürlich nicht hundertprozentig. Es wäre daher falsch von McLaren, eine Entscheidung der Kommissare, die zwischen der FIA, Red Bull und den Kommissaren selbst getroffen wurde, zu kommentieren. Wir vertrauen der Dateneinsicht voll und ganz", stellt der Australier klar. Sein Chef Martin Whitmarsh stimmt zu: "Ich kann nur eine emotionale, aber keine fundierte Stellungnahme dazu abgeben, da ich die Daten nicht vorliegen habe. Ich kann nur spekulieren, aber Spekulationen gab es schon genug. Meiner Ansicht nach ist das Treffen der Technischen Arbeitsgruppe am Montag eine gute Gelegenheit, dieser Frage nachzugehen", findet er. "Sollte entschieden werden, dass das diskutierte Mapping erlaubt ist, dann werden alle anderen eine Menge Geld in die Hand nehmen müssen, um es zu übernehmen. Es ist offensichtlich, dass die FIA von dieser Entwicklung frustriert ist. Es wäre sicherlich besser, Klarheit zu haben und solche Dinge für die Zukunft zu unterbinden." Auch Michael wünscht sich eine Klarstellung: "Für die Zukunft braucht es Klarheit, was erlaubt ist und was nicht. Inwiefern darf der Motor dafür herangezogen werden, die aerodynamische Performance des Autos zu beeinflussen? Die Technische Direktive 36, die im Dezember des vergangenen Jahres in der aktuellen Version verfasst wurde, hält fest, was erlaubt ist und was nicht. Der Ursprung dieser Direktive geht bis Silverstone im vergangenen Jahr zurück."

Langwierige Diskussionen erwartet

"Damals wurde entschieden, den angeströmten Diffusor zu verbieten. Man muss aber unterscheiden zwischen der Direktive 36, die sich mit dem Mapping befasst, und den Richtlinien hinsichtlich der Position des Auspuffs", gibt der Australier zu Protokoll. "Das Ganze wird sicher bis Budapest ein Diskussionspunkt sein. Da die Technische Arbeitsgruppe am Montag tagt, wird das die erste Möglichkeit sein, dieses Thema zu besprechen." Bei Red Bull nimmt man die Angelegenheit gelassen: "Wenn du ein schnelles Auto hast, werden immer Fragen gestellt", winkt Horner ab. "Das Formel-1-Business ist vom Konkurrenzdenken geprägt. Nachdem sich die Kommissare die Beweismittel und Daten angesehen hatten, waren sie vollständig überzeugt." Gegen eine Klarstellung der Regeln wehrt er sich nicht: "Es könnte weitere technische Richtlinien geben, die die Regeln genauer erklären." Aber dass Red Bull schon wieder in den Betrüger-Topf geschmissen wird, ärgert Horner: "Es gibt keinen Paragraphen, in dem etwas vom Geist des Reglements steht. Entweder entspricht etwas den Regeln oder nicht, aber es kann nicht ein bisschen regulär sein. Die Kommissare haben sich die Diskussion angehört und Beweismittel gesichtet, nicht nur die von diesem Rennen, sondern von allen Rennen in diesem Jahr." Denn: "Dieser Bereich der Regeln ist eine sehr komplexe Materie", räumt der Brite ein. So komplex, dass es selbst innerhalb der FIA zunächst Meinungsverschiedenheiten darüber gab, ob das, was Red Bull in Hockenheim gemacht hat, legal ist. Grundsätzlich ist vorgeschrieben, dass die Drehmomentkurve linear zur Drehzahlkurve verlaufen muss. Außerdem mussten die Motorenhersteller bei der FIA Mapping-Muster hinterlegen.

Versteckte Traktionskontrolle?

Original und Muster können zwar marginal voneinander abweichen, Bauer stellte in Hockenheim aber eine ungewöhnlich grosse Abweichung statt. Offenbar hatte Red Bull einen Weg gefunden, das Drehmoment im mittleren Drehzahlbereich künstlich zu reduzieren, was unter anderem zur Folge hat, dass überschüssige Energie, die nicht in den Antrieb der Hinterräder fließt, über den Auspuff rausgeschleudert wird - und dort für aerodynamische Zwecke genutzt werden kann. Eine weitere Folge einer gedrosselten Drehmomentkurve ist eine verbesserte Fahrbarkeit beim Beschleunigen, was aufgrund der nass-rutschigen Verhältnisse in Hockenheim ein besonders grosser Vorteil gewesen sein könnte. Im Grunde genommen hätte dies den Effekt einer Traktionskontrolle. Aber die FIA will das teure Spiel mit den Mappings unbedingt unterbinden - auch, weil es nicht besonders "grün" ist, unverbrauchte Energie "nur" aerodynamisch zu nutzen. Immerhin kam es zu keiner nachträglichen Entscheidung am Grünen Tisch, die den Sport wieder einmal in Misskredit gebracht hätte. "Wir verlassen uns auf die FIA, dass es mit rechten Dingen zugeht", erklärt Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali. "Ich bin ein Sportsmann. Ich gratuliere den anderen immer, wenn sie gewinnen, und ich spreche nie negativ über unsere Gegner. Ich habe vollstes Vertrauen, dass die FIA ihre Sache gut macht, sonst würde ich aufhören. Als ich die Notiz des Technischen Delegierten gesehen habe, habe ich zu meinen Leuten gesagt: 'Konzentriert euch auf eure Aufgabe!' Ingenieure lassen sich von so etwas manchmal ablenken, aber ich habe gesagt, sie sollen nur auf uns schauen und alles andere vergessen", so der Italiener. "Wir müssen erst genau verstehen, worum es bei dem Punkt geht, den der Technische Delegierte aufgeworfen hat, und warum die Kommissare so argumentieren."

"Das ist wie Todesstrafe für Hühnerdiebstahl"

Red-Bull-Berater Helmut Marko hält die

20-Sekunden-Strafe für drakonisch


Die Bestrafung von Sebastian Vettel für sein Überholmanöver gegen Jenson Button auf dem Hockenheimring ist schon zwei Tage alt, die Diskussionen gehen weiter. Red Bull legt in Person von Helmut Marko nach und stärkt seinen Piloten. "Um eine Kollision zu vermeiden, hat er ausweichen müssen. Das war kein Vorteil, er beschleunigt auf der schlechteren Spur, wo es rutschiger ist als auf dem Asphalt. Ich kann da kein Vergehen sehen", so der Motorsport-Berater am Montagabend bei 'ServusTV'.

Auch Vettel selbst schreibt auf seiner Homepage: "Aus meiner Sicht ist eigentlich alles richtig abgelaufen." Der Doppelweltmeister scheint jedoch mit der Sache abgeschlossen zu haben: "Aber man kann nichts tun, wenn das die Verantwortlichen anders sehen. Es ist wie im Fußball: Der eine Schiedsrichter gibt Elfmeter, der andere nicht. damit muss man dann leben", gibt sich Vettel nach Außen hin gelassen und erklärt, nichts an dem Urteil ändern zu können.

FIA-Richtlinie erst vor zwei Wochen veröffentlicht

"Mir tut das besonders wahnsinnig für das Team und die Fans leid, die uns mit ganzer Kraft angefeuert haben", schreibt Vettel weiter. Bei Marko ist die Empörung deutlich grösser. Akzeptanz: Fehlanzeige. "Man hat genau gesehen, dass Button nach Aussen lenkt und Vettel musste - um eine Kollision zu vermeiden - ebenso nach Aussen gehen", hadert der Österreicher, bemerkt aber beiläufig auch: "Okay, er hätte vom Gas gehen können." Tat er nicht - und wurde bestraft. Offensichtlich scheint die Entscheidung in Einklang mit einer am Rande des Grossbritannien-Grand-Prix herausgegeben Richtlinie zu stehen. In einem 'Autosport' vorliegenden Kommuniqué, in dem die Regeln zum Spurwechsel beim Verteidigen klargestellt wurden, gibt FIA-Rennleiter Charlie Whiting bekannt: "Jeder Fahrer, der die Strecke verlässt - zum Beispiel, wenn kein Teil seines Autos mit der Bahn in Berührung bleibt, so wie in den aktuellen Regeln bestimmt -, darf auf die Strecke zurückkehren, aber ohne sich dabei einen Vorteil zu verschaffen."

Vergne hält Vettel für unschuldig

In dem den Teams zugestellten Schreiben heisst es weiter: "Während die entsprechende Regel besagt, dass ein Fahrer keinen Vorteil durch das Verlassen der Bahn haben darf, sollten die Stewards dazu ermutigt werden, in nicht eindeutigen Fällen, wo die direkte oder indirekte Vorteilsnahme unklar ist, nach ihrem Ermessen zu handeln." Offensichtlich wurde am Sonntag gegen Vettel eben eine solche Ermessensentscheidung getroffen. Konzernkollege Jean-Eric Vergne stärkt den Deutschen ebenfalls: "In Sebastians Position hätte ich exakt das Gleiche getan. Ausgangs der Kurve war er links, aber absolut neben Jenson. Da hätte er Jenson wirklich den Platz lassen müssen, um auf der Strecke zu bleiben", meint der Toro-Rosso-Pilot bei 'ServusTV' und beschreibt die Szene: "Man sieht: Jenson hat etwas Übersteuern und drückt dadurch Sebastian raus."

Neuer Präzedenzfall?

Vettel habe deshalb kaum eine andere Wahl gehabt, erläutert Vergne. "Er wusste: Wenn ich die Strecke nicht auf das Gras - da war jetzt kein Gras, sondern Asphalt - verlasse, dann hätte Jenson mich weiter rausgedrückt und wir wären zusammengestossen." Da sei es nicht ungewöhnlich gewesen, dass Vettel die weitere Linie gewählt und im Aussenbereich überholt hätte: "Ich hätte genauso reagiert und halte das auch nicht für einen Fehler." Im Raum steht ausserdem ein neuer Präzedenzfall. Der betrifft Kimi Räikkönen: Der Finne hatte beim Rennen in Spa-Francorchamps 2009 - damals noch im Ferrari - unmittelbar nach dem Start in La Source mehrere Konkurrenten auf dem Asphaltstreifen jenseits der Streckenbegrenzung überholt. Für Marko ist das vergleichbar: "Klar kannst du anders: Er ist vom Strich weg und hat dann die freie Linie genutzt. Er hat sich einen Vorteil verschafft." Räikkönen bleib damals unbestraft.

Wird mit zweierlei Mass gemessen?

Vergne stimmt mit ein: "Wenn man sich das bei Räikkönen anschaut: Der wollte schon am Kurveneingang so weit herausfahren. Da war klar: Er fährt Aussen vorbei." Bereits zuvor herangezogen worden war eine Szene zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg beim diesjährigen Rennen in Bahrain - die ebenfalls folgenlos blieb. "Das versteht niemand", wundert sich Gerhard Kuntschik bei 'ServusTV'. Der Formel-1-Experte der 'Salzburger Nachrichten' fordert gleiche Entscheidungsstandards, findet aber: "Von den Buchstaben des Gesetzes, sprich vom Reglement her, war die Entscheidung der Stewards absolut korrekt. Er war mit vier Rädern ausserhalb der Strecke." Dennoch hinterfragt Kuntschik: "Nur wie oft wird in der Formel 1 der 'Geist des Gesetzes' zitiert? Da wäre in diesem Fall der Geist des Gesetzes, dass man sich keinen Vorteil verschafft - wie bei einem Abkürzer."

Stewards bestimmen Strafmass nicht

Die Funkbeschwerde, die Button unmittelbar nach dem Vorfall lancierte, wundert Marko nicht: "Er sieht seine Chance, über das Reglement, seine Position zurückzubekommen." Einen Vorwurf will Kuntschik dem Briten nicht machen: "Button ist Kampflinie gefahren. Was soll er machen? Da geht es um Platz zwei. Natürlich wird er seinen Platz verteidigen. Am Kurveneingang war er ja noch vorne, Vettel ist von Außen gekommen. Im umgekehrten Fall wäre Vettel genau die gleiche Linie gefahren." Deutlich schärfer ist Markos Ton, wenn es um das Strafmass geht. Das ist festgelegt und - im Gegensatz zu der Entscheidung über den Regelverstoss - keine Ermessensentscheidung der FIA-Stewards. "Das Nächste ist, dass es nur eine Bestrafung oder Nicht-Bestrafung gibt", klagt Marko. "Und wenn es zu einer Bestrafung bekommt, dann sind es 20 Sekunden. Das ist in diesem Fall auch unangebracht. Das ist wie für Hühnerdiebstahl Todesstrafe", erklärt der Red-Bull-Verantwortliche.

Aber hätte man angesichts des drohenden Unheils nicht zumindest über Funk auffordern können, Button wieder vorbeizulassen und so zumindest eine härtere Bestrafung zu vermeiden? "Die Warnung kam nicht", erinnert sich Marko an die Kommunikation mit der FIA. Ob Red Bull einer entsprechenden Durchsage Folge geleistet hätte, ist eine andere Frage. "Das hätte man regeln können. Ich weiss nicht, ob wir ihn wieder hätten vorbeifahren lassen, weil wir uns im Recht wähnten", bestätigt Marko. Daran hat sich offenbar nichts geändert.

Whiting empfindet Vettel-Strafe als "sehr hart"


Das Überholmanöver von Sebastian Vettel gegen Jenson Button in der vorletzten Runde des Grossen Preises von Deutschland erhitzt auch zwei Tage später immer noch die Gemüter. Vettel hatte Button ausgangs der Spitzkehre überholt und war dabei mit allen vier Rädern neben die Strecke gefahren. Die Rennkommissare kamen nach einer Untersuchung des Falls zu dem Ergebnis, dass Vettel durch das Verlassen der Strecke einen Vorteil erlangt habe, und verhängten eine nachträgliche Zeitstrafe von 20 Sekunden gegen den Deutschen, wodurch Vettel von Position zwei auf fünf zurückfiel.

Die Argumentation Vettels, er habe durch das Ausweichen eine Kollision mit Button verhindern wollen, überzeugte die vier Rennkommissare Paul Gutjahr, Tim Mayer, Derek Warwick und Detlef Kramp nicht. "Wenn an der Stelle eine Mauer steht oder ein Kiesbett, macht er das nicht", wird ein namentlich nicht genannter Vertreter aus dem Kreis der vier Rennkommissare von 'auto, motor und sport' zitiert. Während sich die meisten Beobachter einige waren, dass eine Strafe gegen Vettel gerechtfertigt ist, empfanden manche das Strafmass als zu hoch. "Das steht in keinem Verhältnis zum Vergehen", sagt David Coulthard und verweist die Situation in der DTM: "In der DTM verlassen da alle die Strecke, und es wird dabei auch überholt." Allerdings gelten in der DTM beim Verlassen der Strecke andere Reglen als in der Formel 1.

Doch selbst FIA-Rennleiter Charlie Whiting musste zugeben: "Die Strafe ist sehr hart." Allerdings räumte der Brite ein, dass den Rennkommissaren kein anderes Strafmass zur Verfügung stand: "Leider haben wir im Moment aber nichts anderes im Angebot. Wäre der Vorfall früher im Rennen passiert, hätte Vettel eine Durchfahrtstrafe bekommen. Wenn er sie im Rennen nicht mehr absitzen kann, sind das automatisch 20 Sekunden."

Vettel und die FIA: Schweigen ist Gold


So wütend hatte man Sebastian Vettel vielleicht noch nie gesehen: Als ihm Physiotherapeut Heikki Huovinen am Ende eines völlig verkorksten Heimatausflugs das ernüchternde Urteil mit der Rückstufung von Rang zwei auf Platz fünf unter die Nase hielt, war für den Formel-1-Weltmeister das Mass voll. Der 25-Jährige schnappte sich einen Teller Nudeln und verschwand wutschnaubend in seiner Kabine im Red-Bull-Motorhome.

Wer daraufhin zu ihm wollte, wurde aufgehalten. Dies sei keine gute Idee, versicherten Vertraute, Vettel sei unglaublich geladen. Ausgerechnet 45 km von seinem Elternhaus entfernt und vor heimischem Publikum erlebte der Heppenheimer einen Tag zum Vergessen - und einen vielleicht entscheidenden Rückschlag im Titelrennen gegen den schon 44 Punkte enteilten Hockenheim-Sieger Fernando Alonso.

Neues Scharmützel mit der FIA?

Zudem musste er sich nach seiner Kritik am forsch fahrenden Lewis Hamilton vom britischen Boulevardblatt 'Mirror' auch noch als "Heulsuse" bezeichnen lassen. "Vettel verlässt den Hockenheimring mit gebrochenem Herzen", spottet die 'Sun'. Nach dem abschliessenden Urteil der FIA, die ihn wegen Überholens abseits der Strecke mit einer 20-Sekunden-Strafe belegte, schwieg Vettel lieber. Verschwörungstheorien wie zuletzt in Valencia wollte er nicht äussern. Das Gefühl, dass der Weltverband den Weltmeister der letzten beiden Jahre und sein finanzstarkes Team mit allen Mitteln einbremsen will, hatte sich allerdings schon am Morgen verstärkt. Für das als illegal eingestufte Auto bekam die FIA Red Bull aber nicht zu greifen. Viele Beobachter sahen in der persönlichen Strafe für Vettel nach dem Manöver gegen Jenson Button eine Retourkutsche. Fakt ist aber auch: Vettel war selbst schuld. Im Regelwerk sei dies ein eindeutiger Fall, betont der ehemalige Rennfahrer Alexander Wurz, der selbst gelegentlich als Rennkommissar im Einsatz ist: "Vettel hätte sich nach dem Überholen einfach zurückfallen lassen müssen. Das hat er aber nicht gemacht."

Cortese macht Vettel Mut

Auch Ex-Weltmeister Damon Hill betont: "Das Einfachste wäre gewesen, er hätte seinen Platz direkt wieder an Jenson abgetreten." Vettel wäre auf Rang drei zurückgefallen - und hätte alle Chancen gehabt, sich den zweiten Platz wieder zu erobern. "Meine Hinterreifen waren am Ende, er hätte mich sicher nochmal überholen können", sagt Button. Zumindest vom Kommandostand hätte der Weltmeister zurückgepfiffen werden können, doch der Funk blieb stumm. Schon als vermeintlicher Zweiter nach Rennende auf dem Podium hatte Vettel eher missmutig dreingeschaut. Die Wunde, auch im fünften Anlauf den Heimsieg verpasst zu haben, schmerzte schon zu diesem Zeitpunkt, zwei Stunden vor dem finalen Rückschlag für den Wahl-Schweizer. Von einem "Heimfluch" zu sprechen, halten Experten aber für übertrieben. "Wenn man auf Platz zwei fährt, ist das doch kein Fluch", erklärt Motorrad-Star Sandro Cortese dem 'SID'. Der WM-Spitzenreiter der Moto3-Klasse hatte vor zwei Wochen als erster Deutscher seit 41 Jahren einen deutschen Sieg auf dem Sachsenring eingefahren: "Das war ein Hammer-Gefühl. Sebastian fehlt es noch in seiner Sammlung. Aber er hat sonst schon alles erreicht, und ich bin sicher, dass er das in naher Zukunft erleben wird."

Alonso setzt eine politische Note

Auch 'RTL'-Experte Christian Danner will von einem "Fluch" nichts wissen. "Davon kann man sprechen, wenn man immer im selben Rennen ausscheidet", sagt er dem 'SID': "Ausserdem gibt es in der Formel 1 nicht so etwas wie Angstgegner im Fussball. Zum Nachdenken hast du unter dem Helm gar keine Zeit." Für Danner, der bisher immer auf Vettel getippt hatte, ist nun aber Alonso der klare WM-Favorit. "Ihn darfst du nie, nie, nie unterschätzen. Im Moment ist er einfach superstark", glaubt Danner. "Und bei Red Bull wird es Zeit, dass sie mal ein paar Briketts nachlegen." Zumindest hat Vettel vor der Sommerpause noch eine Chance, seinen Frust abzubauen. Am Sonntag in Budapest Alonso an dessen 31. Geburtstag zu schlagen, wäre sicher eine Genugtuung. Die verspürt diesmal nur der Ferrari-Pilot. "Ich bin kein politischer Mensch. Aber dass ein Spanier in einem italienischen Auto, das ein Grieche designt hat, in Deutschland gewinnt - das hat schon was", zählt er schmunzelnd auf. Politische Spitzen verteilen auch die Medien. "Alonso siegt im Vettel-Merkel-Territorium", schrieb die spanische 'AS'. Und auch der italienische 'Corriere dello Sport' schickt einen Gruß an die Kanzlerin: "Dieser Sieg ist Frau Merkel gewidmet."

"Ein bisschen dumm": Hamilton kontert auf Vettel

Haben eine Meinungsverschiedenheit:

Sebastian Vettel und Lewis Hamilton


Ganz dicke Freunde waren Lewis Hamilton und Sebastian Vettel ohnehin noch nie, aber durch die Zurückrundung beim gestrigen Grand Prix von Deutschland in Hockenheim hat der McLaren-Pilot daran zumindest nichts zum Positiven verändert. Ganz im Gegenteil: Vettel fand die Aktion "nicht nett" und kritisierte Hamilton: "Es ist ein bisschen dumm, sich mit den Führenden anzulegen."

Noch auf der Strecke hatte Vettel gleich zweimal die Hand vom Lenkrad genommen, um seinen Unmut über das ungewöhnliche Überholmanöver in der Spitzkehre zum Ausdruck zu bringen. Aber Hamilton kontert nun mit Ironie auf die Attacken seines deutschen Rivalen: "Das zeigt, wie reif er ist", wird er von der 'Daily Mail' zitiert. "Ich wollte nur nicht Jenson im Weg stehen. Das ist der Grund, warum ich ihn überholt habe." Eine Regel, dass man sich nicht zurückrunden darf, wäre a) völlig absurd und wird b) von Vettel gar nicht gefordert. Aber: "Wenn du schnell fahren willst und eine Runde Rückstand hast, aber keine Chance mehr, das Rennen zu gewinnen, dann solltest du die Vernunft einschalten. Dafür braucht es keine Regel - so etwas sollte jedem klar sein", appelliert er an Hamiltons Verstand und Gespür.

Hamiltons Zurückrundung: "Legal"


Während Sebastian Vettel am Sonntag auf dem Hockenheimring gar nicht genügend Arme und Hände zur Verfügung hatte, um seinem Unmut über die Zurückrundung Lewis Hamiltons Ausdruck zu verleihen, sehen die McLaren-Verantwortlichen den Fall entspannt. "Die Fahrer sind da draussen, um Rennen zu fahren. Wenn das dumm sein soll, dann weiß ich nicht, weshalb", macht Teamchef Martin Whitmarsh seinen Standpunkt klar und insistiert: "Lewis war schneller, überholte und zog davon. Ich kann in diesem Verhalten keine Dummheit erkennen."

Auch Sam Michael sieht keinen Grund, der die Aufregung Vettels über einen Fahrer, der mit frischen Reifen aus der Box kam und zu diesem Zeitpunkt die schnelleren Rundenzeiten realisieren konnte, rechtfertigen würde. "Das Manöver von Lewis war komplett legal", weiss der Sportdirektor, dem das FIA-Regelwerk und Alexander Wurz recht geben: "Das ist im Reglement verankert: Du darfst dich natürlich zurückrunden."

Der Williams-Fahrermentor argumentiert: "Es heisst ja nicht, dass man, wenn man einmal überrundet ist, zum Rennfahren aufhören muss", so Wurz weiter - auch wenn Hamilton am Sonntag das zeitweise wohl gerne das Handtuch geworfen hätte. Michael erklärt, wieso das Manöver keinen Einfluss auf das Rennen Vettels hatte: "Da der Unterschied zwischen den Reifen zu diesem Zeitpunkt sehr gross war und wir ohnehin einen Tempovorteil hatten", begründet der Brite. Der Sportdirektor geht ins Detail: "Er hat ihn aber keineswegs aufgehalten, denn Vettel konnte nicht mithalten, nachdem Lewis an ihm vorbei war." Gegen den führenden Fernando Alonso konnte Hamilton dann aber keinen Angriff mehr lancieren, wie auch Wurz aufgefallen war: "Es war natürlich ein bisschen spannend, dass er sich nur bei Vettel zurückgerundet hat, aber dann sind ihm die Reifen ausgegangen. Das ist der Grund, warum er Alonso nicht schlucken konnte."

Michel weiss, dass McLaren auch anders hätte handeln können: "Die andere Alternative wäre gewesen, vom Gas zu gehen und Jenson vorbeizulassen", meint er über eine Teamtaktik zugunsten des zu diesem Zeitpunkt drittplatzierten Button. So wollten die "Chrompfeile" für eine eventuelle Safety-Car-Phase vorsorgen, in der sich Hamilton ohnehin hätte zurückrunden dürfen: "Wenn man das schon vorher erledigen kann, ist das immer besser, weil man dann nicht auf Charlie (Rennleiter Whiting) warten muss, sondern sofort Vollgas geben kann."

25.7.2012