Alonso: 31. Geburtstag – 31. Sieg?

Fernando Alonso ist derzeit in sämtlichen Belangen

die Nummer eins

Trotz des überzeugenden Sieges von Fernando Alonso am Sonntag in Hockenheim ist man sich bei Ferrari bewusst, dass es bis zum möglichen Titelgewinn noch ein weiter Weg ist. Zwar führt der Spanier nach seinem dritten Saisonsieg die Gesamtwertung mit 34 Punkten vor seinem schärfsten Verfolger Mark Webber (Red Bull) an, doch ein Ausruhen auf den Lorbeeren kommt weder für ihn noch für die Scuderia Ferrari in Frage.

Während ein Teil der in Hockenheim anwesenden Ferrari-Mannschaft gemeinsam mit den Teamitgliedern von Toro Rosso nach Italien zurückkehrte, machten sich die Mechaniker der "Roten" am Montagmorgen von Frankfurt aus auf den Weg nach Budapest, um frühzeitig mit den Vorbereitungen für den anstehenden Grand Prix von Ungarn beginnen zu können.

Derweil legte Alonso einen Zwischenstopp am Ferrari-Firmensitz ein. "Fernando ist heute als Tourist in Maranello", lässt die Scuderia verlauten. "Er hat sich einen wohlverdienten Tag frei genommen, bevor er morgen mit den üblichen Besprechungen mit den Ingenieuren und ein wenig Simulator-Arbeit seine Vorbereitung für das nächste Rennen antritt."

Nach den bemerkenswerten Vorstellungen im bisherigen Verlauf der Saison gehört Alonso auch am Sonntag auf dem Hungaroring zu den ganz heissen Kandidaten für einen Podestplatz, wenn nicht gar für den Sieg. Mit dem zu Saisonbeginn als "rote Gurke" verspotteten F2012 fuhr der Spanier, der am Rennsonntag in Budapest seinen 31. Geburtstag feiert, nur in Australien, China, Bahrain und Kanada nicht unter die ersten Drei. In Montreal lag er allerdings bis kurz vor Schluss klar auf Kurs zu einer Podiumsplatzierung und wurde nur aufgrund der extrem abbauenden Pirelli-Reifen noch bis auf Platz fünf durchgereicht.

Der Hungaroring ist für Alonso ohnehin ein gutes Pflaster. In der Saison 2003 holte er sich dort in Diensten des Renault-Teams seinen ersten von inzwischen 30 Grand-Prix-Siegen. Sollte er ausgerechnet an seinem 31. Geburtstag tatsächlich Sieg Nummer 31 folgen lassen, würde der zweifache Weltmeister in der ewigen Bestenliste mit Nigel Mansell gleichziehen und hätte in dieser Statistik dann nur noch Ayrton Senna, Alain Prost und Michael Schumacher vor sich, die zusammengerechnet nicht weniger als 14 WM-Titel zu Buche stehen haben.

Ferrari dankt "Champion" Alonso


Der Ferrari gehörte während der Wintertests sicher eher in die hintere Hälfte des Formel-1-Feldes, und war eigentlich auch nicht konkurrenzfähig, als Fernando Alonso in Sepang erstmals damit gewann. "This is one of the most beautiful", heulte Renningenieur Andrea Stella damals mit gebrochener Stimme am Boxenfunk. "This is one of the most, most beautiful. We are so proud of you, so proud of you and of the team." Emotional-rollendes Gänsehaut-R inklusive, Übersetzung überflüssig.

Alonso fährt, da sind sich alle Experten einig, in der Form seines Lebens. Zur WM-Halbzeit hat er als einziger Fahrer schon drei Siege auf dem Konto, und sein Vorsprung auf Erzrivale Sebastian Vettel beträgt 44 Punkte - das sind beinahe zwei volle Grand-Prix-Erfolge. Auf jeden Fall geht er also nach dem Grand Prix in Budapest als WM-Leader in die Sommerpause. Im Stallduell gegen Felipe Massa steht es 154:23 (Punkte) beziehungsweise 10:0 (Qualifyings). So klar hat sonst keiner seinen Teamkollegen im Griff.

Wie lange hält das Momentum?

Wenn man sich überlegt, wo Ferrari mit zwei Massas herumdümpeln würde, kann man verstehen, dass Stefano Domenicali schon fast unterwürfig wirkt, wenn er von seinem "Maestro" aus Spanien schwärmt: "Das war eine sensationelle Leistung, gar keine Frage", strahlt der Teamchef nach Alonsos Sieg in Hockenheim. "Ich hoffe, dass er diesen Schwung so lange wie möglich halten kann, im Idealfall bis Ende November. Am 1. Dezember kann er dann tun und lassen, was er will. Für ihn war dieses Jahr wichtig, nicht das Vertrauen ins Team zu verlieren. Wir hatten am Saisonbeginn eine schwierige Zeit - da war unser Auto kein richtiges Auto", gibt Domenicali zu. "Dass er trotzdem immer motiviert und auf seine Aufgabe konzentriert geblieben ist, rechne ich ihm hoch an. Man erkennt große Champions, wenn sie unter Druck stehen, wie sie dann arbeiten, das Team antreiben, konstruktiv bleiben. Das ist entscheidend, und dafür sind wir Fernando sehr dankbar." Der Italiener weiss genau, dass die inzwischen sogar recht sichere WM-Führung Alonsos, aber nicht Ferraris Verdienst ist: "Wir haben noch nicht das schnellste Auto. Hätten wir es, dann würde es uns leichter fallen, Rennen zu gewinnen", analysiert er. "Wir müssen das Auto verbessern und sicherstellen, dass es unter allen Bedingungen gut ist: im Nassen, im Trockenen, mit verschiedenen Reifen. Das ist eine riesige Herausforderung."

67 Runden wie im Qualifying

"Man muss sicherstellen, das Auto von Rennen zu Rennen zu verbessern, sonst verliert man in diesem starken Wettbewerbsumfeld unweigerlich Punkte. Die ersten drei Autos lagen heute innerhalb von drei Sekunden. Das ist nichts. Fernando musste 67 Qualifying-Runden fahren, um sich zu behaupten", so Domenicali. Immerhin: "Unsere Vorhersagen hinsichtlich des Reifenverschleißes waren korrekt. Das ist ermutigend." Doch auch wenn Alonso in sechs der vergangenen sieben Rennen auf dem Podium stand, kann sich das Blatt in einer dermassen umkämpften Weltmeisterschaft jederzeit wenden: "Unsere Gegner sind sehr stark", erklärt der Ferrari-Teamchef, der sogar Kimi Räikkönen noch auf der Rechnung hat: "Ich rechne mit allen Gegnern, denn solange die Rennen so eng sind, ist alles möglich. Ich würde von den Top 5 niemanden unterschätzen."

Surer von Alonso begeistert: "Der Kerl blieb cool"


Das Rennen in Hockenheim lieferte reichlich Diskussionsstoff, 'Sky'-Experte Marc Surer nimmt den Grossen Preis von Deutschland unter die Lupe und analysiert die Vorstellung von Fernando Alonso und Michael Schumacher. Ausserdem widmet er sich dem wiedererstarkten Jenson Button. Bei der Bewertung des Überholmanövers von Sebastian Vettel gegen Button in der vorletzten Runde kommt der Schweizer allerdings zu einem anderen Schluss als die Rennkommissare, die Vettel nach den Rennen bestraften.


Frage: Marc, was macht Fernando Alonso so 'ausserirdisch'? Er hat einen absoluten Lauf und ist nicht zu stoppen.

Marc Surer: Das war souverän, was er da gezeigt hat. Er hatte solchen Druck, einmal von Vettel und dann wieder von Button und zwischendurch noch Hamilton, und der Kerl blieb cool da vorne. Wir haben aber auch im Gespräch hinter dem Podium gehört, dass die Fahrer zu ihm gesagt haben 'Mensch, du warst schwer zu überholen, du warst auch mit geschlossenem Heckflügel so schnell auf der Geraden', und er sagte: 'Ich habe immer das KERS aufgespart um euch zu kontern.'

Also hat er definitiv alles richtig gemacht. Wenn man sich vor Augen führt, wie die Saison angefangen hat, wie er belächelt wurde wegen dieser 'roten Gurke', ist es ja absolut unglaublich, dass er jetzt fast von Sieg zu Sieg fährt?

Man konnte es erahnen. Wenn er mit dem schlechten Auto schon ein Rennen gewonnen und immer gepunktet hat, das wenn das Auto mal läuft, und jetzt läuft es richtig gut, dass er es dann auch umsetzt und den Vorsprung einfährt. Er macht immer das Maximale oder sogar noch ein bisschen mehr. Das muss man ganz klar sehen, wenn man sieht, wo Massa rumfährt, dann weiss man, wie gut der Ferrari wirklich ist.

Das heisst, für Sebastian Vettel war er definitiv außer Reichweite? Der musste sich nach dem Start ganz massiv gegen Michael Schumacher wehren.

Michael hat ein schnelles Auto auf der Geraden, das ist bekannt. Michael ist gut gestartet und hat ihm richtig eingeheizt. Aber sie haben sich nicht wehgetan, es war nichts Unfaires zwischen den beiden, sondern sie haben sich gemeinsam respektiert.

In Runde 35 hat sich Vettel über Lewis Hamilton geärgert, der schon überrundet war und dann wieder an Vettel vorbeizog.

Das war eine Szene, die es ganz, ganz selten gibt in der Formel 1, die aber vom Reglement her vollkommen korrekt ist. Ein Fahrer darf sich zurückrunden, darf aber Führenden oder in dem Fall den Zweitplatzierten dadurch nicht behindern. Ein bisschen gestört hat es schon, aber nicht wirklich entscheidend. Es hat auch ein bisschen Stimmung gebracht in dem Moment.

Es gab noch eindeutige Handzeichen von Vettel, er wirkte nicht so begeistert über diese Aktion.

Die Handzeichen deute ich nicht abschätzig, sondern er fragt sich: 'Hey, was macht der eigentlich hier? Der sollte gar nicht da sein!'

Hätte Red Bull mit einer anderen Strategie, wenn sie ihn früher zum Stopp reingeholt hätten, noch mehr herausholen können? Es gab später die Szene, als er von Button kassiert wurde, als er aus der Box kam.

Button hat früher gestoppt und hat dadurch eine Runde früher mit den frischen Reifen fahren können. Das hat ihm einen Vorteil gebracht. Aber Buttons Stopp war ein neuer Weltrekord, 2,4 Sekunden für einen Reifenwechsel. Als er herauskam, sah man, dass genau diese zwei Zehntelsekunden den Unterschied ausgemacht haben. Danke an McLaren, die schon viele Boxenstopps verhaut haben, diesmal haben sie geholfen, einen Platz zu gewinnen.

Sie haben ja intensives Boxenstopp-Training gemacht. Gibt es diese Probleme also nicht mehr?

In Valencia ging ja auch wieder einer schief. Ganz sauber sind sie nicht. Sie sind zwar jetzt die Schnellsten, aber nicht fehlerfrei. Aber dieses Mal war es wirklich ein perfekter Stopp, darauf können sie stolz sein.

In der vorletzten Runde hat Vettel Button noch kassiert. Eine Szene, die für eine Untersuchung sorgt. Wie schätzt du es ein?

Ich würde sagen im Zweifelsfall für den Angeklagten. Er fährt raus, weil er glaubt, der andere wäre dicht neben ihm, das sagt er zumindest. Er war mit der Nase schon ein bisschen vorne nach der Kurve. Auch wenn er nicht rausgefahren wäre, hätte er wahrscheinlich vorne bleiben können. Aber: Man darf zwar die Auslaufzone benutzen, aber man darf keinen Vorteil haben. Hat er nun einen Vorteil gehabt oder nicht? Das müssen die Stewards entscheiden. Ich hoffe, dass sie in diesem Fall für den Angeklagten entscheiden, im Zweifelsfall sollte man anstatt eine Kollision zu riskieren auch dort herausfahren dürfen.

Button hat anschliessend gefunkt: 'Er hätte mich nicht überholt, wenn er auf der Strecke geblieben wäre'. Er sieht es natürlich anders.

Natürlich gibt es da zwei Meinungen. Das ist auch ärgerlich, wenn man in der vorletzten Runde noch einen Platz verliert. Aber dafür haben wir die Kommissare, Derek Warwick ist der sportliche Kommissar, der wird das einschätzen und die anderen werden im Regelbuch nachlesen. Sie werden es in Zeitlupe immer wieder anschauen und beraten, ob er wirklich einen Vorteil hatte oder ob er eh schon vorbei war?

Wenn sie gegen ihn entscheiden, was könnte eine mögliche Strafe sein?

Plus 25 Sekunden, als eine nachträgliche Durchfahrtstrafe, und dann fällt er richtig zurück.

Michael Schumacher macht nach wie vor keine Aussage zu seiner Zukunft. Glaubst du, dass die Entscheidung bei ihm schon gefallen ist?

Ich denke, dass er schon weiss, was er will. Warum er abwartet, ist mir schleierhaft. Im Prinzip fährt er jetzt gut und hat nach zwei mageren Jahren den Anschluss gefunden. Nach zwei mageren Jahren ist er jetzt dran, also warum sollte er jetzt aufhören. Jetzt könnte er die Früchte seiner Aufbauarbeit ernten. Das Auto ist schneller geworden, er ist besser geworden, damit müsste er weiterfahren.

Wie schätzt du sein Rennen ein? Ist mit dem Mercedes ohne Regen einfach nicht mehr möglich?

Es scheint so. Im Regen ist ein Michael Schumacher einfach sensationell gefahren, wenn man gesehen hat, wo Rosberg gelandet ist. Im Trockenen war er nicht so schnell. Das könnte aber auch eine Abstimmungsfrage sein. Wenn man das Auto auf Regen einstellt und etwas weicher macht, dann bauen die Reifen stärker ab, wenn man im Trockenen fährt.

In Runde elf hat Button den Rekordweltmeister einfach mal so kassiert.

Das war eine klasse Szene. Aber ich hatte das Gefühl, dass Michael wusste, dass er chancenlos sein würde gegen Button. Er wurde aber auch ein bisschen überrascht.

McLaren ist jetzt wieder richtig da, wie ist das einzuschätzen? Sie sind ja mit einem Upgrade-Paket nach Hockenheim gekommen. Hat das den entscheidenden Schritt nach vorne gebracht?

Definitiv für Button. Er hatte in den vorherigen Rennen Probleme, hat die Reifen nicht auf Temperatur gebracht, hat über blockierende Vorderräder gejammert - und plötzlich geht das Auto wieder. Es sind vor allem neue Seitenteile, die sie eingebaut haben, die wohl mehr Anpressdruck erzeugen. Und das ist das Entscheidende. Wenn ein Auto besser auf den Boden gepresst wird, werden die Reifen warm, das Auto hat mehr Haftung in der kurve und alles geht plötzlich viel einfacher. Ich glaube Button hat das Rennen gegen Alonso nur verloren, weil er sich den Bremsplatten eingefahren hat. Der hat sicher vibriert, dadurch hat er ein bisschen Haftung auf dem rechten Vorderrad verloren.

Noch ein Satz zu Lewis Hamilton, der zwischenzeitlich sogar schon das Rennen aufgeben wollte. Wo hätten wir ihn ohne den Plattfuss gesehen?

Er hätte da vorne auch mitgemischt. Man weiss zwar, dass Jenson Button normalerweise sorgfältiger mit den Reifen umgeht. Aber Hamilton hätte angegriffen, das wäre spannend geworden mit zwei McLaren vorne drin. Wer weiss, was dabei herausgekommen wäre. Aber das ist Mutmassung, wenn zählt in der Formel 1 nicht.

Wir haben Christian Horner gehört, der hofft, dass keines der anderen Teams Protest gegen die Sache mit dem Drehmoment einlegt. Glaubst du, dass die anderen Teams so fair sind?

Wir hatten schon einige dieser Szenen, beispielsweise musste Red Bull ja das Loch schliessen. Es gibt immer wieder Grauzonen, da versucht man es, und dann wollen die Teams meistens Klarheit haben. Die wollen wissen, darf man es, oder darf man es nicht? Denn wenn man es darf, machen wir es auch. Es wird darauf hinauslaufen.

Das klingt nach Protest?

Nein, bei einem Protest müssen sie Geld hinterlegen und fordern, dass es untersucht wird, so wie es anfangs des Jahres Lotus gegen Mercedes gemacht hat, gegen diesen F-Schacht am Frontflügel. Da war ein richtiger Protest im Gange. Wenn sie Klarheit wollen, dann ruft man einfach die FIA an, also Charlie Whiting. Dann ist das kein wirklicher Protest.

24.7.2012