Felipe Massa: In Japan ohne Druck ?

Der Ferrari-Pilot zieht Motivation aus

einer Pole-Position, die sechs Jahre zurückliegt und betont, trotz seiner noch nicht spruchreifen Zukunft ohne Druck zu fahren

Die Spatzen pfeifen es von Maranellos Dächern: Felipe Massa steht kurz vor der Unterschrift bei Ferrari für eine weitere Saison. Im Vorfeld des Japan-Grand-Prix gibt sich der Brasilianer entsprechend gelassen. "Natürlich ist meine Zukunft wichtig, aber jetzt sind Resultate die Hauptsache - das bedeutet, dass ich mich auf jedes Rennen einzeln konzentrieren muss", erklärt Massa. "Ich weiss, zu was ich fähig bin, was ich für das Team tun kann und wo meine Stärken liegen", gibt er sich selbstbewusst.

Massa glaubt, dass er damit nicht allein auf weiter Flur steht. "Auch die Truppe ist sich darüber im Klaren, weil ich mit ihnen nicht erst seit gestern zusammenarbeite. Der beste Plan ist es, ohne Sorgen um meine Zukunft Rennen zu fahren", betont der 31-Jährige, der seit 2006 für die Scuderia ins Lenkrad greift. Seitdem hat er auch gelernt, sich auf die heissen Phasen einer Saison akribisch vorzubereiten. Tage, wie sie jetzt anstehen: mit sechs Rennen, abhalten in drei Doppelpacks.

In Japan ein Mal auf dem Podium

Für den elffachen Grand-Prix-Sieger Routine: "Die Vorbereitung ist mehr oder weniger die gleiche, obwohl Suzuka physisch fordernder ist als andere Strecken. Die Hochgeschwindigkeitskurven verlangen der Muskulatur einiges ab", bemerkt Massa, der den Nacken als Vorbereitung auf hohe G-Kräfte ganz besonders trainiert hat. "Es ist der letzte Teil der Saison und man muss sich darauf vorbereiten, viel zu reisen. Wo immer du hinfliegst, steht noch eine lange Anreise zur Strecke an." Auf der Bahn unweit von Nagoya, die Massa als "schwierig und komplex, wo der Fahrer den Unterschied machen kann" bezeichnet, feierte der Ferrari-Pilot im Jahr 2006 seinen grössten Erfolg. Damals fuhr er auf Pole-Position und kam im Rennen auf Rang zwei ins Ziel - sein bisher einziger Podiumsbesuch. "Es fühlt sich gut an, auf einer Strecke, wo Aggression in den Kurven gefragt ist, der schnellste Mann im Qualifying zu sein." Ein Sieg war ihmdamals allerdings nicht vergönnt.

Stärke in Silverstone macht Mut

Sondern Fernando Alonso, damals Renault-Konkurrent, heute Teamkollege bei der Scuderia. Da käme es Massa gerade gelegen, sollte sich Geschichte wiederholen. "Es wäre fantastisch und toll für unsere Situationen in beiden Weltmeisterschafts-Wertungen", glaubt er. "Unser Auto kann in Suzuka konkurrenzfähig sein, weil die schnelle Strecke dem F2012 liegt. Das zeigt unsere Leistung in Silverstone, einer Piste mit einer ähnlichen Charakteristik, was Abtrieb und Setup angeht." Nach dem Besuch im Land der aufgehenden Sonne geht es für den Formel-1-Tross weiter nach Korea. Massa bezeichnet jedes der noch ausstehenden Rennen als sehr wichtig für ihn und Alonso. "Das Auto hat sich seit dem Test in Mugello stark verändert und wir haben uns in dieser Zeit entwickelt. Wir haben fast immer neue Teile an die Strecke gebracht, bei jedem Rennen. Der Job dreht sich nur darum, einen Punkt mehr als die anderen einzufahren, wenn es zum letzten Grand Prix geht."

Optimismus ist dem Brasilianer nicht fremd: "Hoffentlich können wir uns auch in den abschliessenden Rennen so steigern wie bisher", blickt Massa voraus, der sich als Japan-Fan outet: "Die Menschen, ihre Lebensweise, ihre Bildung und ich liebe es, japanisch zu essen. Das tue ich überall auf der Welt, aber im Land selbst ist es etwas Besonderes. Ich freue mich auch auf einen Besuch in Tokio."

Senna vs. Massa: Mit zweierlei Mass gemessen?


Es ist der subjektive Eindruck vieler Formel-1-Beobachter, dass die FIA in der Saison 2012 bei strittigen Situationen zwischen zwei Fahrern so hart durchgreift wie nie zuvor. Romain Grosjean musste in Monza erstmals seit Michael Schumacher 1994 eine Sperre absitzen, und dass Sebastian Vettel für sein Manöver gegen Fernando Alonso in Monza mit einer Durchfahrstrafe belegt wurde, hätte noch vor zehn Jahren nicht nur im Red-Bull-Camp für Kopfschütteln gesorgt.

Aber wenn schon strenge Maßstäbe angewendet werden und im Sinne der Konstanz eine exakte Regelinterpretation vor Fingerspitzengefühl und Augenmaß geht, so sollte dies eigentlich für alle Fälle gelten. Das sieht Felipe Massa aber nicht mehr gegeben, seit er in Singapur mit Bruno Senna aneinandergeraten ist: "Ich war komplett neben ihm, aber er drückte mich in die Mauer", beklagte sich der Ferrari-Pilot nach dem Rennen. Die FIA-Rennkommissare sprachen gegen Senna trotzdem keine Strafe aus. Sehr zu Massas Unverständnis: "Der Ursprung ist Bahrain. Danach haben sie die Regeln geändert", wettert er. "Wenn du jetzt ein Auto neben dir hast, darfst du die Tür nicht mehr zumachen. Genau das hat er heute aber gemacht." Hintergrund: Als sich Nico Rosberg beim Bahrain-Grand-Prix unter anderem gegen seinen künftigen Teamkollegen Lewis Hamilton so hart verteidigte, dass er diesen sogar neben die Strecke drängte, überdachte die FIA das Reglement - und brachte vor Silverstone eine Präzisierung in Umlauf.

Rosberg als Auslöser der Diskussion

Darin heisst es: "Jeder Fahrer, der seine Position auf einer Geraden vor einer Bremszone verteidigt, darf während seines ersten Manövers die volle Streckenbreite verwenden, vorausgesetzt kein wesentlicher Teil des Autos, das zu überholen versucht, ist neben seinem (Auto). Während er sich auf diese Weise verteidigt, darf der Fahrer die Strecke ohne gerechtfertigten Grund nicht verlassen." Genau das hatte Rosberg bei seinem Verteidigungsmanöver nämlich getan, als er den Begriff Streckenbreite ziemlich grosszügig auslegte. Weiter steht in der FIA-Präzisierung: "Um Missverständnisse auszuschliessen; wenn ein beliebiger Teil des Frontflügels des Autos, das zu überholen versucht, auf gleicher Höhe mit dem Hinterrad des vorausfahrenden Autos ist, wird dies als 'wesentlicher Teil' verstanden." Und wie das Replay des Senna/Massa-Manövers auf der Anderson-Bridge beweist, war Massas Ferrari-Frontflügel per Definition durch die gerade erläuterte FIA-Notiz TM/006-12 mehr als auf gleicher Höhe mit dem Williams-Hinterrad. Massas rechtes Vorderrad berührte Sennas Auto sogar vorne am Seitenkasten. Die Rennkommissare, die über den Vorfall zu entscheiden hatten, waren Jose Abed, Garry Connelly, Nish Shetty - und Audi-Werksfahrer Allan McNish, am vergangenen Wochenende mit der Langstrecken-WM (WEC) zu Gast in Bahrain, meinte: "Ich kann nicht zu sehr in die Details gehen und mehr sagen, als durch die offiziellen Mitteilungen verkündet wurde", bedauert er. "Die Aussagen der Fahrer und Teams werden vertraulich behandelt. Es wäre falsch, öffentlich darüber zu sprechen."

Wurz verteidigt Senna: "Extrem schmal"

Immerhin gibt McNish aber zu, dass es "keine einfachen Entscheidungen" gibt, wenn es um solche oder vergleichbare Fälle geht: "In der Rennleitung sitzen vier Kommissare. Wenn ihnen ein Zwischenfall gemeldet wird, untersuchen sie ihn. Jeder Kommissar verfügt über unterschiedliche Erfahrungen, aber es wird immer eine Mehrheitsentscheidung getroffen. Manchmal dauert es länger, um alle Möglichkeiten und Eventualitäten zu bedenken und alle Beteiligten anzuhören", erklärt er. Williams-Fahrermentor Alexander Wurz, ebenfalls mit Erfahrung als FIA-Rennkommissar ausgestattet, glaubt, dass Senna "nicht gewusst hat, dass Massa neben ihm ist. Er ist deswegen seine komplett normale Rennlinie weitergefahren. Dort ist es extrem schmal. Deswegen endete das in einer solch extrem aussehenden Situation." Tatsächlich ist die Anderson-Bridge zwischen den Kurven 12 und 13 eine höchst ungewöhnliche Stelle für ein Überholmanöver, und tatsächlich ist die Fahrbahn dort nur zwölf Meter breit. Das dürfte ins Urteil eingeflossen sein. Denn: "Man hat bedacht, dass ein Fahrer an jener Stelle alle Hände voll zu tun hat, auf der Strecke zu bleiben. Es ist dort unübersichtlich. Deswegen hat man es als Rennzwischenfall eingestuft, weil es gut gegangen ist. Es war sicherlich eine knappe Entscheidung", vermutet Wurz und ergänzt: "Viel mehr Platz ist dort nicht. Bruno ist ja auch nicht in einer Charity und muss dort nicht vom Gas gehen. Wenn du dort um die Rechtskurve mit Vollgas herumfährst, dann drückt es dich eine Spur hinaus. Er hat auch rechts nicht mehr als 1,20 Meter gehabt."

FIA begründet: Es war keine Gerade...

"Dort ist die Strecke extrem schmal, es sind dort viele Dinge zusammengekommen. Ich finde es okay, dass es ein Rennzwischenfall war", analysiert der Österreicher und erhält Zustimmung von einem weiteren gelernten FIA-Rennkommissar, Tom Kristensen. Der glaubt, dass so entschieden wurde, weil Massa vorbeigekommen ist und beide weiterfahren konnten: "Ich glaube, es wäre anders ausgegangen, wenn Massa nicht vorbeigekommen wäre. Ich denke, Senna hat das nicht mit Absicht gemacht - er wusste nicht genau, wo Massa war. Das war ähnlich wie bei Vettel und Alonso." Vettel wurde in Monza allerdings bekanntlich bestraft, weshalb man der FIA die legitime Frage stellen darf, ob nicht mit zweierlei Mass gemessen wurde. Aber: "Die Untersuchung von Video-Beweismaterial verschiedener Autos in verschiedenen Runden zeigt, dass Senna auf seiner normalen Rennlinie war, als Massa neben ihm auftauchte", so ein Verbandssprecher. "Es wurde entschieden, dass Senna seine Position nicht auf einer Geraden verteidigt hat, worauf sich Dokument TM/006-12 bezieht." Denn an jener Stelle ist die Fahrbahn nicht komplett gerade...

Zudem floss laut dieser Darstellung in die Bewertung ein, dass Senna sofort nach rechts lenkte, um etwas mehr Platz zu machen, als ihm bewusst wurde, dass Massa neben ihm daherkommt. Doch unabhängig davon führt dieser Fall wieder einmal eindrucksvoll vor Augen, wie schwierig es für die Rennkommissare sein muss, einerseits im Interesse des Sports und seiner Fans notwendiges Fingerspitzengefühl walten zu lassen, andererseits aber nicht gleichzeitig die Formulierung der Regeln zu verlassen, die für konstante Entscheidungen so wichtig sind...

Lob vom Chef


Nachdem es lange Zeit so aussah, als wäre die Zeit von Felipe Massa bei Ferrari spätestens am Ende der Saison abgelaufen, scheint der Brasilianer nun doch noch gerade rechtzeitig die Kurve gekriegt zu haben. Seit der Sommerpause zeigt Massa eine deutliche Leistungssteigerung. Das ist auch Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo nicht entgangen. "Ich musste zwei oder drei Tage lang darüber nachdenken, aber ich muss sagen, dass Felipe in letzter Zeit sehr gut fährt", wird di Montezemolo von 'Autosprint' zitiert.

Seit dem Grand Prix von Belgien wirkt der 31-Jährige wie ausgewechselt. "Mir hat sein Start in Monza gefallen: Entschlossen, aber vorsichtig. Auch die Art und Weise, wie er in Singapur gefahren ist, war nach meinem Geschmack", lobt di Montezemolo seinen Piloten. "Es ist einige Risiken eingegangen, aber das ist in Ordnung." Das schlägt sich auch in der sportlichen Bilanz nieder. In den ersten elf Saisonrennen gewann Massa lediglich 25 WM-Punkte, in den drei Rennen nach der Sommerpause stockte er sein Konto um 26 Punkte auf. Ohne den Reifenschaden nach der Berührung mit Bruno Senna, der Massa in Singapur zu einem frühen Boxenstopp zwang, könnte die Bilanz sogar noch deutlich besser aussehen. Zur Zukunft Massas wollte sich di Montezemolo nicht äussern, aber derzeit deutet alles darauf hin, dass der Brasilianer auch im kommenden Jahr Teamkollege von Fernando Alonso sein wird. Angesprochen auf den WM-Führenden geriet di Montezemolo geradezu ins Schwärmen und verriet, was den Spanier aus seiner Sicht so stark macht: "Es sind drei Dinge, die einen wirklich besonderen Fahrer wie Alonso ausmachen", so der Ferrari-Präsident: "Zu allererst sein Verständnis für das Rennen, die Geschwindigkeit, die Taktik uns sein Respekt vor den Reifen, die ihm diese unglaublichen Leistungen ermöglichen. Sein Rennen (in Singapur) war eines der Stärksten, das ich je gesehen habe."

Auch der Teamgeist Alonsos imponiert dem Italiener: "Zweitens war ich davon beeindruckt, wie er das Team mitgenommen und dazu gebracht hat, derart entschlossen zu arbeiten. Drittens gab es in den vergangenen Jahren keinen Fahrer, der so oft in Maranello war und so viele Tage bei uns verbracht hat. Ich erinnere mich, dass es bei Lauda ähnlich war, aber nur wenige andere waren so präsent." Durch seine Dauerpräsenz diskutiere er ständig mit den Technikern und spiele bei der Arbeit im Simulator und der Analyse eine wichtige Rolle. "Das hilft uns sehr, denn in diesen beiden Bereichen waren wir früher nicht so wettbewerbsfähig wie unsere Gegner", sagt di Montezemolo. "Nun sind wir es."

Auf Fragen zu einem möglichen Wechsel in die Politik reagierte di Montezemolo kurzangebunden: "Wir hatten am Dienstag eine Besprechung, in der es darum ging, unsere Konkurrenzfähigkeit in der Formel 1 zu steigern. Das ist momentan das wichtigste Thema", war die einzige Aussage, die dem Italiener zu diesem Thema zu entlocken war. Aus seinen Ambitionen auf das Amt des italienischen Ministerpräsidenten hatte di Montezemolo nie einen Hehl gemacht. In dieser Woche hatte der bisherige Amtsinhaber Mario Monti erklärt, dass er im kommenden Jahr nicht erneut zur Wahl antreten werde.

3.10.2012