McLaren will in Indien zurück in die Erfolgsspur

Jenson Button will nach der Nullnummer

von Südkorea in Indien wieder angreifen

Die vergangenen beiden Rennen der Formel 1 verliefen nicht nach dem Geschmack von McLaren. Während Jenson Button und Lewis Hamilton in Japan zwar zum ersten Mal seit Valencia das Podium verpassten, als Vierter und Fünfter aber noch wertvolle WM-Punkte einfuhren, geriet das Rennen in Südkorea fast zur Nullnummer. Button wurde schon in Runde eins durch einen unverschuldeten Unfall aus dem Rennen gerissen, Hamilton wurde, von Reifenproblemen und einem mitgeschleiften Rasenteppich eingebremst, gerade noch Zehnter.

Angesichts einer solchen Anhäufung von Umgemach wird Teamchef Martin Whitmarsh fast schon zum Formel-1-Philosophen: "Unsere Rennen in Japan und Südkorea waren nicht gerade berauschend. Das Glück war in diesen beiden Rennen nicht auf unserer Seite, was wieder einmal zeigt, dass kein Team oder Fahrer von Glück oder Pech verschont bleibt", sagt Whitmarsh. "Das Glück ist einem nicht immer hold, aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns nach zwei enttäuschenden Rennen bei den kommenden beiden Läufen besser aus der Affäre ziehen."

Davon ist auch Button überzeugt, der Südkorea bereits abgehakt hat. "Obwohl es nicht mein Fehler war, war mein Wochenende in Südkorea eine verpasste Chance. Aber das liegt schon weit hinter mir, jetzt freue ich mich auf die kommenden beiden Rennen", so der 32-Jährige. Im Vorjahr war Indien für Button ein gutes Pflaster. "Im vergangenen Jahr ist der Indien-Grand-Prix gut für mich gelaufen. Ich hatte ein einwandfreies Rennen, in dem ich vom Start bis ins Ziel auf Position zwei fuhr. Ich mag die Strecke und habe dort ein gutes Gefühl."

Strecke begeistert die Fahrer

Auch Teamkollege Hamilton freut sich auf das Rennen auf dem Subkontinent. "Ich liebe Indien - die Menschen, die Farben, die Geräusche, das Spektakel, das Chaos", schwärmt der 27-Jährige. "Es ist ein intensives, lebendiges Land, mit sehr freundlichen und enthusiastischen Menschen." Doch nicht nur das Land, sondern auch der Buddh International Circuit hat es ihm angetan. "Die Strecke ist eine Offenbarung. Die meisten modernen Strecken fühlen sich im Cockpit ähnlich an, mit ein und demselben Fahrstil und Rhythmus kommt man in der Regel überall zurecht", erklärt Hamilton. "Aber der Buddh International Circuit erinnert mich eher an grossartige Strecken wie Spa-Francorchamps als an die modernen Kurse, denn er hat einen unglaublichen Fluss. Beginnend bei Kurve vier, einer langgezogenen Rechtskurve, die bergab führt, folgen einige sehr schnelle, flüssige Kurven, in denen du das Auto absolut am Limit bewegen kannst", schwärmt der Brite über den vom deutschen Architekten Hermann Tilke entworfenen Kurs. Auch Button findet: "Auf jeden Fall ist sie anderes als die üblichen Rennstrecken."

Zweitschnellster Kurs im Kalender

"Zum einen sind ist die Strecke in der Anfahrt zu den Kurven drei und vier unglaublich breit, fast wie eine Autobahn. Dadurch kann man verschiedene Linien fahren, was das Überholen erleichtert. Wie ich gehört habe, soll es auf der neuen Strecke in Austin ähnlich sein", sagt Button. "Auch die Kurvenkombination zehn und elf ist sehr speziell. Das ist eine leicht überhöhte Doppelrechtskurve, die ein wenig an die Spoon-Kurve in Suzuka erinnert. Eine solch schnelle Kurve ist für eine neue Strecke ungewöhnlich. Wenn das Auto richtig gut liegt, macht sie eine Menge Spaß, dann spürt man, wie die Fliehkräfte an einem zerren."

"Im Vorjahr hatte ich kein besonders gutes Wochenende", blickt Hamilton auf 2011 zurück, "aber ich glaube, dass ich derzeit besser fahre als jemals zuvor - auch, wenn sich das nicht in den Resultaten niederschlägt. Daher bin ich fest entschlossen, in Indien ein gutes Resultat zu erzielen. Ich glaube, unser Auto passt zur Strecke, daher kann ich es kaum erwarten, am Freitag auf die Strecke zu gehen."

Für Teamchef Whitmarsh steht fest: "Der Grand Prix von Indien hat das Potenzial, ein Klassiker im Formel-1-Kalender zu werden. Die Strecke wird von allen Fahrern geschätzt, die Fanbasis ist begierig und bereit für die Formel 1 und das Marktpotenzial auf dem gesamten Kontinent ist gewaltig. Ich glaube an den Nutzen des Indien-Grand-Prix."

McLaren: Platz zwei vor Ferrari das Minimalziel


McLaren hat die grosse Chance nicht genutzt: Nach der Sommerpause war der Bolide das beste Auto im Feld, und trotz drei Siegen machten Zwischenfälle und Pannen dem Team aus Woking im WM-Kampf einen Strich durch die Rechnung. Nun ist das Zwischenhoch bereits wieder verflogen, und Lewis Hamilton und Jenson Button liegen abgeschlagen auf den Plätzen vier und sechs, während Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel die WM-Führung an sich gerissen hat.

Auch in der Konstrukteurs-WM sieht es nicht gerade rosig aus: Ferrari liegt sechs Punkte vor McLaren, Red Bull mit einem Vorsprung von 77 Punkten fast außer Reichweite. Dennoch lässt sich McLarens Technikchef Paddy Lowe von der schwierigen Ausgangslage nicht entmutigen: "Sie sind in Reichweite, und wir werden nie aufgeben, den Stand noch umzudrehen."

Qualifying als Schwachstelle

Er weiss auch, wo McLaren ansetzen muss: im Qualifying, wo man zuletzt gegen Red Bull ganz klar ins Hintertreffen geriet. "Wir haben dieses Jahr gesehen, dass man mit Startplätzen in der ersten Reihe vorne bleiben kann, wenn man im Rennen nur einen leichten Vorteil oder gar keinen Vorteil hat. Wir müssen also im Qualifying das Blatt wenden." Doch wodurch hat McLaren die starke Form der Sommeroffensive verloren? Lowe winkt ab: "Wir haben gar nichts falsch gemacht. Das ist einfach der Entwicklungskrieg, und das Kräfteverhältnis verschiebt sich dieses Jahr öfter." Den Ausschlag hat seiner Meinung nach das große Red-Bull-Update in Singapur gegeben, das sich als enormer Schritt nach vorne erwiesen hat.

Gelingt die Schlussoffensive?

Er kündigt aber bei den kommenden Rennen den Konter von McLaren an: "Bei uns kommen noch einige grosse Dinge, an denen wir gerade arbeiten. Ob das reichen wird, wissen wir noch nicht, aber wir werden die Teile in Indien und Abu Dhabi einsetzen." Ihm ist jedoch bewusst, dass in der Saison 2012 bereits eine Vorentscheidung gefallen ist - und zwar gegen sein Team. "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es derzeit für uns läuft", sagt er. "Wir würden einige ziemlich beeindruckende Ergebnisse benötigen und Red Bull dürfte diese nicht haben, wenn wir es jetzt noch drehen wollen." Aus diesem Grund will man sich nun auf die Konstrukteurs-WM konzentrieren und den in Südkorea verlorenen zweiten Platz zurückerobern: "Wir würden Ferrari immer gerne hinter uns haben. Das ist das Mindeste, was wir in dieser Saison erreichen sollten."

Lowe: Red Bull nicht nur dank Doppel-DRS vorn


Spätestens seit dem Grand Prix von Japan ist Red Bull im WM-Kampf zurück. Zwar gewann Sebastian Vettel zuvor auch auf dem Stadtkurs in Singapur. Dort profitierte der amtierende Weltmeister aber vom Getriebeschaden am in Führung liegenden McLaren von Lewis Hamilton und hätte ohne diesen Defekt wohl kaum die volle Punktzahl eingefahren.

In Suzuka dominierten Vettel und Red-Bull-Teamkollege Mark Webber dann sowohl die Freien Trainings als auch das Qualifying. Im Rennen fuhr Webber nur deshalb nicht aufs Podium, weil er gleich in der ersten Runde von Lotus-Pilot Romain Grosjean abgeräumt wurde und ans Ende des Feldes zurückfiel. Am vergangenen Sonntag in Yeongam schließlich brachten die "Bullen" ihren ersten Doppelsieg der Saison unter Dach und Fach. Von zahlreichen Beobachtern der Szene wird der jüngste Formanstieg des Weltmeisterteams dem Doppel-DRS zugeschrieben. Bei McLaren - lange Zeit Red-Bull-Verfolger Nummer eins in diesem Jahr - glaubt man allerdings nicht daran. "Ich bin mir nicht sicher, ob die Form von Red Bull einzig und allein in diesem System begründet liegt - ich bezweifle es", sagt McLaren-Technikchef Paddy Lowe und liefert seine eigene Erklärung: "Sie haben mit ihrem Auto augenscheinlich einen grossen Schritt gemacht. Meines Erachtens ist dieser Schritt eher auf die generelle Entwicklung des Fahrzeugs zurückzuführen. Es ist aber nicht einfach, dahinterzukommen."

Bei McLaren sieht man Doppel-DRS skeptisch

Dem Thema Doppel-DRS steht man in Woking jedenfalls skeptisch gegenüber. "Wir haben gesehen, dass bei Lotus schon eine ganze Weile mit dem System gekämpft wird. Der tatsächliche Performance-Gewinn scheint gering", urteilt Lowe und erklärt: "Das ist auch der Grund, warum bisher nicht mehr Teams auf diesen Zug aufgesprungen sind. Diejenigen, die es haben, verfügen alle über verschiedene Lösungen." So unterscheidet sich die Red-Bull-Variante sowohl von jener bei Mercedes als auch von der bei Lotus noch nicht im Rennen eingesetzten. Während Mercedes die Luft zum Frontflügel kanalisiert und Lotus mit zwei Öffnungen links und rechts der Airbox arbeitet, lässt Red-Bull-Chefdesigner Adrian Newey die Luft über zwei Löcher im oberen Bereich des Heckflügels auf das untere Flügelelement - den sogenannten Beam-Wing - treffen. Im Zusammenspiel mit dem Luftstrom von vorn sorgt die von oben kanalisierte Luft für Verwirbelungen. Diese reduzieren den Effekt des Beam-Wings und somit den Abtrieb. Folge: Das Auto ist auf den Geraden schneller.

Red Bull im WM-Kampf im Nachteil?

Im WM-Kampf gegen Ferrari wird Red Bull alle Vorteile nutzen müssen. Wie Pirelli in dieser Woche verlauten liess, werden bei den beiden letzten Rennen des Jahres in Austin und Interlagos die Mischungen Medium und Hard eingesetzt. Mit dieser Kombination der angebotenen Mischungen hatte Red Bull im bisherigen Saisonverlauf die größten Probleme. Der aktuelle WM-Spitzenreiter Vettel gilt bei den Formel-1-Fans in Deutschland dennoch als Favorit. Gemäss einer Umfrage durch das Nürnberger Marktforschungsinstitut 'puls' trauen 69 Prozent der Befragten dem zweimaligen Weltmeister in diesem Jahr einen erneuten Titel und damit den WM-Hattrick zu. Nur 15 Prozent glauben nicht an den Red-Bull-Piloten, der mit seinem Sieg in Yeongam zum ersten Mal seit dem 27. Mai wieder die Führung in der Fahrerwertung übernommen hat.

McLaren und Lotus schreiben Fahrer-WM ab


Schon nach Japan deutete es sich erstmals an, jetzt ist es zumindest aus Sicht der meisten Experten praktisch Gewissheit: Die Formel-1-Weltmeisterschaft 2012 hat sich auf einen Zweikampf zwischen Sebastian Vettel (215 Punkte) und Fernando Alonso (209) reduziert. Denn Kimi Räikkönen (167), Lewis Hamilton (153) und Mark Webber (152) haben umgerechnet schon rund zwei Siege Rückstand auf die Spitze - und Jenson Buttons Chancen sind bei 84 Punkten Rückstand sowieso nur noch rechnerischer Natur.

Der Auftaktsieger von Australien hat diese Saison schon sechs Nullen angeschrieben - also gleich viele wie Vettel (3), Alonso (2) und Räikkönen (1) zusammengerechnet. "Ich habe keine Chance mehr", sieht der Champion von 2009 ein und betont, er wolle die verbleibenden vier Rennen "einfach geniessen". Auch Teamkollege Lewis Hamilton verabschiedet sich aus dem WM-Kampf: "Ich denke, das war's jetzt für uns." Eine Ansicht, der Experte Marc Surer nicht widerspricht: "Es war nicht sein Wochenende. Ich glaube, dass er aus dem Rennen um die Weltmeisterschaft draussen ist, wenn die ersten beiden nicht noch plötzlich Probleme bekommen", sagt er über Hamilton. Also konzentriert man sich bei McLaren nun auf die Konstrukteurs-WM: "Die Hauptpriorität wird darauf liegen, Punkte für das Team zu holen", legt Button eine Marschroute für das letzte Saisonfünftel fest.

Konstrukteurs-WM: Noch 172 Punkte zu vergeben

In der Konstrukteurs-WM haben nur noch vier Anwärter rechnerische Chancen, den Titel zu gewinnen, realistisch betrachtet wird es nach dem ersten Doppelsieg überhaupt in dieser Saison aber schwierig, Red Bull (367) noch abzufangen. Spannend dagegen der Kampf um Platz zwei zwischen Ferrari (290) mit einem wiedererstarkten Felipe Massa, McLaren (284) und Lotus (255) mit Comeback-Superstar Räikkönen. Den "Iceman" hat Surer nicht mehr auf der Rechnung: "Da müsste schon was passieren mit den ersten beiden", glaubt der ehemalige Formel-1-Pilot. "Er ist zu weit weg, und aus eigener Kraft kann er mit dem Lotus nicht gewinnen - das haben wir gesehen. Es ist ein gutes Auto, aber nicht gut genug, um Rennen zu gewinnen. Wenn den ersten beiden nichts passiert, glaube ich nicht, dass Räikkönen noch eine Chance hat." Lotus nimmt das Wort WM auch gar nicht mehr in den Mund.

Surer lobt Räikkönen: "Sensationelles Comeback"

"Aber er hat natürlich eine Chance auf den dritten Platz in der Weltmeisterschaft. Das wäre ein sensationelles Comeback nach zwei Jahren, ein voller Erfolg für ihn", findet Surer. Was Räikkönen noch fehlt, ist ein Sieg: Sechsmal stand er schon auf dem Podium - genauso oft wie Hamilton, öfter als Button und Webber. Und die einzige Null verbuchte er in Schanghai, als er im Finish von den Reifen in den Stich gelassen wurde.

Bei Reifenhersteller Pirelli fiebert man den letzten Rennen übrigens ebenfalls entgegen: "Wir träumen natürlich davon, dass die WM erst im letzten Rennen in Brasilien entschieden wird. Das werden wir schon bald erfahren", sagt Sportchef Paul Hembery. "Die Teams wissen in dieser Phase der Saison aber auf jeden Fall, was sie mit den Reifen anstellen müssen. Wir haben die Reifen für den Rest der Saison bereits produziert. Daran verändern wir nichts mehr. Red Bull", fährt er fort, "hat sicher einen Schritt nach vorne gemacht. In den letzten beiden Rennen sah das komfortabel aus. Doch jetzt haben alle noch einmal zwei Wochen Zeit, um ihrerseits Fortschritte zu machen. McLaren und Ferrari sind dran. Es dürfte in dieser so engen Saison aber schwierig sein, diese zwei Zehntel zu finden. Das macht die Formel 1 aber auch so faszinierend, denn du musst doppelt so hart arbeiten wie dein Vordermann, um vorbeizugehen."

23.10.2012