Lotus: Doppelte Premiere in Indien

Romain Grosjean und Kimi Räikkönen reisen voller

Vorfreue nach Indien

Am kommenden Wochenende gastiert der Formel-1-Zirkus zum zweiten Mal auf dem Buddh International Circuit im indischen Noida, doch für das Lotus-Team wird es eine Premiere im doppelten Sinne. Sowohl Ex-Weltmeister Kimi Räikkönen als auch Teamkollege Romain Grosjean waren beim Indien-Debüt vor zwölf Monaten nicht am Start und haben daher keine persönlichen Erfahrungswerte auf dem 5,137 Kilometer langen Kurs.

Von diesem Umstand lassen sich aber weder der "Iceman" aus Finnland noch der in Genf geborene Franzose ablenken. "Genau wie Südkorea ist Indien für mich Neuland. Ich war noch nie in diesem Land und habe die Strecke noch nicht mit eigenen Augen gesehen", sagt Räikkönen und fügt hinzu: "Das ist aber auch ohne Runden im Simulator kein großes Problem. Ich mag es, neue Orte zu besuchen und neue Strecken sind immer interessant." Am vergangenen Wochenende hatte Räikkönen den Korea International Circuit in Yeongam "nach wenigen Runden im ersten Freien Training verinnerlicht", wie er sagt. "Also erwarte ich auch diesmal keine Probleme." Nachdem Lotus in Südkorea den neuen Coanda-Auspuff erstmals im Rennen einsetzte, rückt man auch in Indien mit der Neuentwicklung aus. "Hoffentlich können wir dadurch etwas an Tempo zulegen", so der Finne.

Räikkönens Titelhoffnungen intakt

Eine Prognose sein Abschneiden betreffend will der Ex-Weltmeister nicht abgeben. "Es ergibt keinen Sinn, konkrete Ziele anzuvisieren. Wir müssen einfach weiterarbeiten wie bisher, um so viele Punkte wie möglich mitzunehmen. Dann werden wir sehen, was am Ende dabei herauskommt. Der Rückstand in der Weltmeisterschaft ist schon recht gross, aber wir werden bis zum Schluss kämpfen", sagt Räikkönen, der mit 48 Punkten Rückstand auf WM-Spitzenreiter Sebastian Vettel (Red Bull) bei vier ausstehenden Rennen noch Chancen hat, in seiner Comeback-Saison den WM-Titel zu gewinnen. An der eigenen Motivation soll es nach Aussage von Räikkönen nicht scheitern. "Meine Motivation ist so gross wie immer. Auch in der Saison 2007 wurde die Weltmeisterschaft erst im letzten Rennen entschieden. Alles ist möglich", verweist er auf den Gewinn seines ersten WM-Titels am 21. Oktober 2007 in Sao Paulo.

Grosjean erwartet keine Probleme beim Erlernen der Strecke

Während Räikkönen in wenigen Tagen zum ersten Mal überhaupt nach Indien reist, war Teamkollege Grosjean in Zivil schon in Noida. Auf seine ersten Runden auf dem Buddh International Circuit muss aber auch der Franzose warten, bis am Freitagvormittag das erste Freie Training beginnt. "Im vergangenen Jahr war ich in meiner Rolle als dritter Fahrer des Teams vor Ort und muss sagen, dass die Strecke genau wie die gesamte Anlage sehr eindrucksvoll ist. Es gibt sowohl langsame als auch schnelle Passagen. Es wird sicher Spaß machen, dort zu fahren. Ich freue mich schon darauf, die Geheimnisse der Strecke kennenzulernen", so Grosjean. Da der 26-Jährige in diesem Jahr seine erste volle Formel-1-Saison bestreitet, ist ihm der Prozess des Erlernens einer unbekannten Strecke ohnehin bestens vertraut. "Normalerweise habe ich damit keine Schwierigkeiten. Hoffentlich wird es in Indien genauso sein, sodass wir uns frühzeitig auf die Erarbeitung des Setups für Qualifying und Rennen konzentrieren können." Dank der hochgestochenen Technik in der Formel 1 sind dem Team inklusive Grosjean "Werte wie Bremsdruck am Kurveneingang, Gaspedalstellung am Kurvenausgang und Geschwindigkeit am Scheitelpunkt längst bekannt".

Bedenken, dass er während der ersten Sekunden des Rennens am Sonntag für Unruhe sorgen könnte, hat Grosjean nicht. "Vor dem Start in Südkorea war ich schon etwas nervös. Doch das Team und auch ich selbst haben viel getan, um die Dinge der Vergangenheit zu verstehen. Das hat eindeutig geholfen", spricht der in dieser Saison vielgescholtene Franzose die intensiven Gespräche mit Teamchef Eric Boullier und eingängige Analysen seiner Startkollisionen an und hält fest: "Ich war in diesem Jahr oft mein grösster Feind. Das ist aber hoffentlich Geschichte, sodass wir nach vorn blicken können."

Donnelly: Sprintermentalität abzulegen!


Für Lotus ist die Formel-1-Saison 2012 ein zweischneidiges Schwert. Kimi Räikkönen besticht in seiner Comeback-Saison in der Königsklasse durch Konstanz und Tempo gleichermassen und kam als einziger Pilot im Feld bei jedem der bisherigen 16 Rennen ins Ziel. Sechsmal schaffte der Ex-Weltmeister den Sprung aufs Podium.

Im Gegensatz dazu besticht Teamkollege Romain Grosjean in erster Linie durch seinen Speed im Qualifying. Das teaminterne Duell bei Lotus steht derzeit 9:6 für den Franzosen, der aufgrund seiner Sperre beim Grand Prix von Italien in Monza nur bei 15 der bisherigen 16 Saisonläufe antrat. Die Sperre fing sich Grosjean zwei Wochen vor Monza ein, als er in Spa-Francorchamps als Versursacher der prominent besetzten Startkollision ausgemacht wurde. Da der dramatische Zwischenfall in Belgien für Grosjean nur der "Gipfel" einer von Kollisionen in der Startrunde gekennzeichneten Saison war, redete unter anderem Lotus-Teamchef Eric Boullier eindringlich auf den Franzosen ein, künftig bedachter zu Werke zu gehen.

Andere Denke in den Nachwuchsformeln

Ex-Lotus-Pilot Martin Donnelly sieht es genauso und ruft Grosjean dazu auf, seine Fahrweise zu überdenken. "Wenn es ein- oder zweimal vorgekommen wäre, dann könnte man von Pech sprechen. Bei ihm waren es aber sieben Vorfälle innerhalb von neun Rennen", spricht Donnelly die Unfallserie von Grosjean gegenüber 'Sky Sports F1' an. Nach einer längeren Unterhaltung mit Lotus-Teamchef Boullier am Rande des Grand Prix von Südkorea, glaubt Donnelly (der vor Ort als dritter Rennkommissar fungierte) den Grund für Grosjeans ungestümes Verhalten auf den ersten Metern eines Grand Prix zu kennen: Bevor der in Genf geborene Franzose im März dieses Jahres seine erste volle Formel-1-Saison unter die Räder nahm, tobte er sich in den Aufstiegsklassen Formel Renault, Formel 3 und GP2 aus und dort wurde ihm laut Boullier eingebläut, am Start so viele Plätze wie möglich gutzumachen. "Das waren im Grunde Sprintrennen, bei denen die Starts ganz entscheidend sind", merkt Donnelly an und spannt den Bogen zur Formel 1: "Hier gibt es DRS-Zonen, verschiedene Rennstrategien und Verkehr auf der Strecke. Die Rennen dauern zwischen eineinhalb und zwei Stunden und werden nicht in der ersten Runde gewonnen."

Formel-1-Rennen sind keine Sprintrennen

Nach Ansicht des Nordiren müsse der vielgescholtene Lotus-Pilot Grosjean "nun erkennen, dass es nicht das Ende der Welt ist, wenn man am Start einen oder zwei Plätze verliert. Er muss sich darüber im Klaren sein, dass man erst ins Ziel kommen muss, um ganz vorn landen zu können". Diese Erfahrung mussten auch andere Piloten, die den klassischen Aufstiegsweg in die Formel 1 hinter sich haben, schon machen. Beim Grand Prix von Südkorea nahm sich Grosjean die Ratschläge aus seinem Umfeld augenscheinlich zu Herzen. Weder am Start noch im weiteren Rennverlauf liess sich der Franzose etwas zu Schulden kommen und beendete den Grand Prix. Mit knapp einer Minute Rückstand auf die Spitze und Platz sieben wird der Franzose auf lange Sicht gesehen allerdings nicht zufrieden sein.

Boullier: Motivation im Team kein Problem

Lotus-Teamchef Eric Boullier sieht die Chancen,

Ferrari abzufangen, intakt


Lotus geht mit 29 Punkten Rückstand auf Ferrari auf Platz vier liegend in die letzten vier Rennen der Saison 2012. Laut Teamchef Eric Boullier ist die Motivation ungebrochen, die "Roten" noch abzufangen und dem Team Rang drei zu sichern.

Im Interview spricht Boullier über seine Erwartungen für die letzten vier Rennen des Jahres, über die entscheidenden Kriterien auf dem Weg zum Erfolg, über einen möglichen Rückfall von Romain Grosjean und über die Herausforderung, die Ressourcen im Team richtig aufzuteilen.

Frage: Eric, wo steht das Lotus-Team vor dem letzten Fünftel der Saison?

Eric Boullier: Wenn man sich unsere zurückliegenden zwei, drei Rennen in der Gesamtheit ansieht, dann hatten wir hier und da Probleme. In puncto Performance konnten wir in Südkorea mit dem neuen Auspuffsystem aber einen Schritt nach vorn machen. Das Team hat ganze Arbeit geleistet, ein solch signifikantes Upgrade an die Strecke zu bringen und sofort funktionieren zu lassen. Wir können aus diesem Konzept noch deutlich mehr herausholen, brauchen aber noch etwas Zeit. Wir sollten uns ab sofort darauf konzentrieren, im Qualifying beide Autos in die Top 5 zu bringen. Das würde unsere Chancen auf gute Punkte im Kampf um Platz drei in der Konstrukteurswertung deutlich verbessern.

Wird es schwierig, den dritten Rang bei nur vier ausstehenden Rennen und entsprechend wenig zu vergebenen Punkten noch zu erreichen?

Es besteht kein Zweifel daran, dass es schwierig wird. Gleichzeitig bieten sich uns noch vier gute Gelegenheiten, eine Menge Punkte einzufahren. Der Schlüssel wird in der Zuverlässigkeit des E20 liegen. Ist diese gewährleistet, dann kommt es darauf an, an jedem Rennwochenende beide Fahrer solide in die Punkteränge zu bringen.

Romain Grosjean hinterliess in Südkorea einen guten Eindruck. Glaubst du, dass die jüngsten Schwierigkeiten damit endgültig abgehakt sind?

Für uns ist es ganz eindeutig an der Zeit, einen Schlussstrich darunter zu ziehen und nach vorn zu blicken. Noch wichtiger ist es aber, dass Romain die Dinge abhakt. In Südkorea fuhr er ein starkes, sauberes Rennen, obwohl er unter grossem Druck stand. Ich bin mir absolut sicher, dass er nun versteht, wie solche Dinge in Zukunft zu vermeiden sind. Romains Aufgabe für den Rest der Saison besteht ganz klar darin, auf der Performance des zurückliegenden Rennens aufzubauen und dem Team zu helfen, bei den noch ausstehenden vier Rennen so viele Punkte wie möglich einzufahren.

Mit welchem Gefühl gehst du nach Indien, wo die Formel 1 am kommenden Wochenende zum zweiten Mal gastiert?

Indien ist ein riesiges Land, dessen Wirtschaft immer stärker wird. Aus diesem Grund ist es für die Formel 1 ein interessanter neuer Markt. Gleichzeitig ist es für uns eine gute Gelegenheit, mehr über die Kultur und die Tradition einer Nation zu lernen, die sich von anderen doch ziemlich unterscheidet.

Das Team befindet sich derzeit in der ungewöhnlichen Lage, an drei Autos gleichzeitig arbeiten zu müssen. Wo liegen in diesem Zusammenhang die grössten Herausforderungen?

Natürlich sind unsere Ressourcen nicht unbegrenzt. Die grösste Herausforderung besteht also darin, wie wir die Ressourcen am besten aufteilen. Jeder Mehraufwand in ein Projekt bedeutet gleichzeitig eine Schwächung der beiden anderen. Wir wollen uns die Chancen für die vier noch ausstehenden Rennen nicht verbauen. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass wir für die kommende Saison und auch für 2014 in einer starken Position sind. Da die richtige Balance zu finden ist nicht einfach. Während der bevorstehenden Wochen und Monaten wird dieses Thema noch intensiv diskutiert werden. Die Dinge können sich schnell ändern. Bis jetzt hat unser Management aber einen guten Job gemacht, die Kontrolle zu behalten.

Ist es angesichts von drei Back-to-Back-Rennen am Saisonende schwierig, die Konzentration und Motivation im Team aufrechtzuerhalten?

Sechs Grands Prix innerhalb von neun Wochen sind für alle Beteiligten eine grosse Herausforderung. Die Logistik, um neue Entwicklungen fertigzustellen und an die Autos zu bringen, ist alles andere als einfach. Die Motivation in unserem Team war aber noch nie ein Problem. Die Mitarbeiter in der Fabrik in Enstone sind nicht nur hochprofessionell, sondern hängen auch mit ganzem Herzen am Rennsport.

Lotus bläst mit neuem Auspuff zum Angriff


Dass man mit dem E20 in Südkorea nicht um die Spitze würde fahren können, hatte man bei Lotus erwartet. Dennoch fuhr Kimi Räikkönen erneut ein sehr solides Rennen und sammelte als starker Fünfter weitere WM-Punkte. Der Finne fuhr im 16. Rennen zum 15. Mal in die Punkteränge - öfter als der 32-Jährige hat in dieser Saison kein anderer Fahrer gepunktet. Dank sechs weiterer Punkte durch den siebten Platz von Romain Grosjean, der sich in Yenogam nach den zahlreichen Zwischenfällen geläutert zeigte und sehr defensiv fuhr, konnte Lotus seinem WM-Konto weitere 16 Punkte gutschreiben.

Neben den Resultaten sorgte vor allem der erfolgreiche Einsatz des Coanda-Auspuffs am Auto von Räikkönen für Freude in der Lotus-Box. Nach dem gelungenen Renneinsatz wird beim kommenden Grand Prix in Indien auch Grosjean in den Genuss der Neuentwicklung kommen. "Der Plan ist, den Auspuff in Indien an beiden Autos einzusetzen", wird Teamchef Eric Boullier von 'Autosport' zitiert. "Ich muss dem Team danken, denn einige größere Teams hatten einige Rennen lang damit zu kämpfen, ihn erfolgreich einzusetzen", lobt der Franzose seine Mannschaft. "Dank des Systems ist unser Auto definitiv leistungsfähiger."

Dank des neuen Auspuffs bläst Lotus nun zum Angriff auf Position drei in der Konstrukteurswertung. Nachdem McLaren mit dem zehnten Platz von Lewis Hamilton und dem Ausfall von Jenson Button in Südkorea ein Rennen zum Vergessen erlebte, beträgt der Vorsprung von McLaren auf Lotus nur noch 29 Punkte. Allerdings gibt Boullier zu, dass es schwierig werden dürfte, diese in den verbleibenden vier Rennen aufzuholen: "Wir haben einige Punkte auf McLaren gutgemacht, aber wir müssen realistisch sein."

"McLaren hatte seit dem Sommer eine starke Form", so der Teamchef. "Ich glaube nicht, dass sie an jedem Wochenende solch Probleme wie in Südkorea haben werden." Dennoch will Lotus nichts unversucht lassen, die Konkurrenten noch einzuholen: "Es wird ein harter Kampf, aber wir werden alles geben, um bis zum Ende um die dritte Position zu kämpfen", sagt Boullier.

22.10.2012