Indien bilanziert zufrieden: 67.000 Zuschauer

Der Indien-Grand-Prix lockte 2012 mehr Zuschauer

an als Hockenheim

Der Grand Prix von Indien war auch in seiner zweiten Auflage ein Erfolg: Nach 95.000 Zuschauern bei der mit Spannung erwarteten Premiere des Buddh International Circuit kamen gestern 67.000 Formel-1-Fans nach Noida, um den zweiten Sieg von Sebastian Vettel live mitzuerleben. Das ist nicht ganz so viel wie etwa in Silverstone, schlägt aber im direkten Vergleich sogar die 59.000 Zuschauer, die diesen Sommer nach Hockenheim gepilgert waren.

"Im zweiten Jahr", erklärt Samir Gaur, Geschäftsführer von Streckenbetreiber Jaypee Sports, "sind die Zahlen immer rückläufig, im dritten auch. Dann gehen sie wieder rauf. Die erste Euphorie lässt halt nach, aber das ist okay." Formel-1-Geschäftsführer Bernie Ecclestone stimmt zu: "Die ersten Rennen sind immer gut besucht, im zweiten Jahr geht es zurück. Im dritten Jahr gehen die Zahlen wieder rauf. Das ist ganz normal." Ecclestone feierte in Indien seinen 82. Geburtstag und betonte bei der Gelegenheit, wie wichtig der Grand Prix sei: "Ich halte es für gut. Die Welt kennt Indien, aber es ist schön zu sehen, dass es Indien zumindest in die gleiche Position bringt wie andere Länder, die Formel-1-Rennen haben. Darum machen Länder Olympische Spiele: um als guter Hauswirtschafter auftreten zu können. Indien tut das."

Offene Angaben zu Zuschauerzahlen

Und zwar mit stolzer Brust: "Es gibt nicht ein einziges Team oder einen einzigen Fahrer, der mir nicht gesagt hat: 'Wir lieben es hier!' Das stellt für mich die Erfolgsgeschichte dar", sagt Vicky Chandhok, Präsident des indischen Motorsport-Verbandes FMSCI. Die rückläufigen Zuschauerzahlen findet er "nicht wirklich" enttäuschend: "Bis Samstag haben alle mit 35.000 oder 40.000 Zuschauern gerechnet, aber geworden sind es 67.000." Dabei spielen die Veranstalter im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, die trotz leerstehender Tribünen fast fantasiehaft anmutende Zuschauerzahlen veröffentlichen, mit offenen Karten. Denn sowohl Gaur wie auch Chandhok geben offen zu, dass von den 67.000 Eintrittskarten nur 37.000 tatsächlich verkauft wurden. Die anderen Kontingente wurden gratis an bestimmte Gruppen verteilt, um das Interesse der indischen Bevölkerung an der Formel 1 anzukurbeln.

Bei Ecclestone kommt besonders gut an, dass die Veranstalter für seine Kritik empfänglich sind und nicht auf stur schalten: "Im Vergleich zum Vorjahr ist es eine enorme Verbesserung. Das Gute ist, dass sie nicht davonlaufen und sich verstecken, wenn sie sehen, dass etwas falsch ist, sondern sie stellen es richtig", lobt der Formel-1-Geschäftsführer und hält fest: "Es ist heute eine der besten Strecken der Welt."

Wie viele Zuschauer in Zukunft regelmässig kommen müssen, um den Grand Prix von Indien als Erfolgsprojekt werten zu können, ist "unmöglich zu beantworten", findet Ecclestone und meint flapsig: "Wir haben hier einen Konkurrenten. Wie heisst dieses Spiel nochmal? Richtig, Kricket." Daher sei ein zweiter Indien-Grand-Prix derzeit auch kein Thema: "Etablieren wir erst einmal diesen hier. Aber wir sind bereit, den Vertrag über fünf Jahre hinaus zu verlängern, wenn es gut läuft."

Chandhok gibt zu: 2011 Glück gehabt

Das scheint bisher der Fall zu sein. Schon 2011 wurde Indien von der FIA als bester Grand Prix des Jahres ausgezeichnet, obwohl Chandhok offen zugibt: "Man könnte sagen, im Vorjahr hatten wir Glück. Wir waren wirklich knapp dran und es war unser erster Event, aber er war sehr erfolgreich. Aber dieses Jahr haben wir die Erfahrung. Wir haben dazugelernt und die Anlage sichtbar verbessert. Ja, sie ist noch nicht perfekt, aber nächstes Jahr wird sie es sein."

Gaur nickt zustimmend: "In den vergangenen zwölf Monaten haben wir hart gearbeitet. Wir kannten unsere Schwachstellen und haben sie verbessert. Jetzt holen wir uns das Feedback dazu, auch von den Teams. Was auch immer die Probleme an den Teamgebäuden sind, wir werden sie lösen. Die Strecke selbst ist jetzt gut. Was wir brauchen, sind mehr Rennen." Der Superbike-WM-Termin im März 2013 steht bereits fest, mit der WEC und den V8-Supercars werden Gespräche geführt.

Zu verbessern gilt es noch die Schwierigkeiten mit Visa für Formel-1-Mitarbeiter und Journalisten sowie mit den restriktiven indischen Zollbeschränkungen, die nach 2011 in diesem Jahr erneut für Probleme gesorgt haben. "Wir haben daran gearbeitet und wir werden weiter daran arbeiten", kündigt Gaur an, dass Jaypee Sports für die Zukunft versuchen wird, auf die indische Regierung einzuwirken, um solche Prozesse zu vereinfachen.

Infrastrukturprojekt liegt auf Eis

Doch so grosse Fortschritte man im Bereich der Rennstrecke selbst gemacht hat, so wurde vom rundherum geplanten Infrastrukturprojekt noch kaum etwas umgesetzt. Die Pläne dafür scheinen momentan auf Eis zu liegen: "Jetzt haben wir eine Sache gemacht, und das war ein riesiger Schritt", erklärt Gaur. "Die Wirtschaft war schlecht, aber wir sind sehr guter Dinge und werden das weiterverfolgen."

Im Paddock ist der Grand Prix recht beliebt, und das trotz den nach europäischen Massstäben chaotischen Verhältnissen im Grossraum Delhi. "Jeder ist skeptisch Indien gegenüber, aber jeder spürt, dass in unserem Paddock viel Wärme da ist", meint Chandhok. "Wir behandeln jeden so, dass er sich willkommen und fast wie zu Hause fühlt. Das ist indische Kultur. Ich bin froh, dass alle das spüren. Wir haben die Leute gerne bei uns zu Gast."

Ein Eindruck, den Indien-Doppelsieger Vettel durchaus teilt. Der Red-Bull-Pilot findet es interessant, auch andere Kulturen kennenzulernen: "Im Leben geht es meiner Meinung nach immer um Erwartungen - und in Europa sind diese Erwartungen sehr, sehr hoch. Geld spielt eine große Rolle. Hier sind die Erwartungen hingegen recht gering. Geld ist nicht so wichtig", schildert er seine bisherigen Eindrücke von Indien. "Die Lebensumstände in Europa - ich bin ja in Deutschland aufgewachsen - und Indien zu vergleichen, ist im Prinzip wie Schwarz und Weiss. Es ist komplett anders", sagt Vettel, der sich deswegen jedoch keineswegs unwohl fühlt: "Es ist schön zu sehen, dass die Menschen so fröhlich, so herzlich sind. Es wäre sicher schön, etwas mehr Zeit in Indien zu verbringen und etwas herumzureisen, um noch bessere Eindrücke zu gewinnen."

30.10.2012