Whitmarsh: «Eine fantastische Meisterschaft»

Martin Whitmarsh ist begeistert

von der diesjährigen Abwechslung in der Formel 1

Die Formel 1 ist in diesem Jahr so spannend wie nie. In den ersten sieben Rennen gab es insgesamt sieben Sieger, nur zwei Teams gewannen mehr als einen Grand Prix. Und es ist durchaus nicht unrealistisch, dass in einer Woche beim Grand Prix von Europa erneut ein neues Gesicht ganz oben auf dem Podium stehen wird. Denn Lotus - Romain Grosjean wurde zuletzt in Kanada starker Zweiter - gilt weiterhin als heisser Anwärter auf den ersten Saisonsieg.

"Ich finde die diesjährige Meisterschaft einfach fantastisch", schwärmt McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh im Interview mit 'Sky Sports News' und zeigt an einem Beispiel, wie es in diesem Jahr drunter und drüber geht: "Michael Schumacher hat bisher in diesem Jahr nur zwei Punkte geholt. Das spiegelt wahrscheinlich nicht wider, zu was er eigentlich im Stande gewesen wäre."

Viel Lob richtet Whitmarsh an die Konkurrenz: "Nico (Rosberg) und Mercedes haben eine phänomenale Organisation und ein ausgezeichnetes Rennteam." Aufgrund der enormen Leistungsdichte - die ersten Drei der Fahrerweltmeisterschaft trennen gerade einmal drei Punkte - möchte sich Whitmarsh in Sachen Titelgewinn auf keinen Piloten festlegen. Sein Fahrer Lewis Hamilton liegt nach seinem Sieg in Kanada wieder an der Spitze der Tabelle.

"Es ist vollkommen offen", so Whitmarsh hinsichtlich der Titelentscheidung. Laut ihm könnten sogar noch viel mehr Fahrer im Feld für den Titel in Frage kommen: "Dieses Jahr haben bislang sieben Fahrer gewonnen und ich sehe keinen Grund, warum nicht jeder von ihnen auch für den Titelgewinn in Frage kommen sollte."

McLaren bleibt mit den Füssen auf dem Boden


In Kanada lief es vor knapp einer Woche ganz nach dem Geschmack von McLaren-Mercedes: Im Qualifying belegte man mit Lewis Hamilton Startplatz zwei, im Rennen am Sonntag konnte man diese Position dann letztendlich in einen Sieg ummünzen, mit dem man sich die Führung in der Fahrer-Weltmeisterschaft zurückholen konnte.

Angesichts der unübersichtlichen und äußerst undurchschaubaren Reifensituation gab es dieses Jahr bislang in sieben Rennen sieben unterschiedliche Sieger. Und nur zwei Teams konnten zwei Siege einfahren - Red Bull und McLaren. Aufgrund der Tatsache, dass die Teams logischerweise mit der Zeit mehr Daten sammeln und zur Verfügung stehen haben, möchte man annehmen, dass sich langsam aber sicher wieder ein Rennstall an der Spitze etablieren kann.

Das ist allerdings gar nicht so einfach, wie McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh gegenüber 'Sky Sports News' erläutert: "Jedes Teams befindet sich nach jedem Rennen in einer besseren Position, weil mehr Daten zur Verfügung stehen. Natürlich denkt man, sobald es gut läuft, dass man die Reifen verstanden hat. Doch die Reifen scheinen in ihrem Verhalten fast organisch zu sein", spielt Whitmarsh auf ihr ständig variierendes Verhalten an.

Man selber erzielt in dieser Hinsicht aber offenbar deutliche Fortschritte: "Wir verstehen die Reifen immer besser, doch das ist bei der Konkurrenz genauso. Es geht dieses Jahr so eng zu, dass man perfekte Arbeit leisten muss, um gute Ergebnisse zu erzielen." Man könne ohne weiteres dieses Jahr noch Rennen gewinnen, doch "wir müssen hart arbeiten und auf das Gelernte aufbauen."

Was die kommenden Rennen angeht - nächste Woche macht die Formel 1 Station in Valencia - rechnet Whitmarsh zwar mit weiteren Siegen seines Teams, es sei aufgrund des unvorhersehbaren Kräfteverhältnisses allerdings schwer, exakte Prognosen und tätigen.

"Rennen zu gewinnen ist nicht einfach, aber ich weiss, dass wir es schaffen können", so der 54-jährige Brite. "Es geht derzeit so eng zu, der richtige Umgang mit den Reifen ist sehr anspruchsvoll und man darf sich während eines Wochenendes keine Fehler erlauben. Man muss mit dem besten Auto und der besten Abstimmung anreisen und darf keine Fehler im Ablauf begehen. Wenn man in irgendeinem Bereich Fehler macht, ist das Wochenende schon gelaufen. Deshalb wäre es recht dumm, zu sagen, dass wir von nun an jedes Rennen gewinnen. Das wird sehr schwierig und so soll es auch sein."

Zwischen Hamilton-Hoch und Button-Krise


Es gibt nicht viele Strecken, auf denen McLaren in seiner langen Formel-1-Geschichte noch kein Rennen hat gewinnen können. Der Strassenkurs von Valencia, auf dem die Königsklasse seit dem Jahre 2008 gastiert, gehört dazu. Während Lewis Hamilton den Grand-Prix-Sieg mit drei zweiten Plätzen in den vergangenen vier Jahren oft nur knapp verpasste, schaffte es Jenson Button 2010 als Dritter nur ein Mal auf das Podium. Und auch in dieser Saison stehen die Vorzeichen für McLaren ungünstig.

Denn genau wie in Bahrain werden hohe Temperaturen erwartet, Pirelli liefert die Mischungen Soft und Medium - analog zum Rennen auf der arabischen Halbinsel. Unter diesen Bedingungen hatte die Truppe aus Woking ihr Waterloo erlebt. Button macht Mut: "Ich weiss, wie stark McLaren sein kann. Ich habe in diesem Jahr schon auf einen Strassenkurs gewonnen und werde versuchen, in das Rennen um den Titel zurückzukehren", erinnert der Brite an seinen Sieg in Australien.

Traktion und Präzision gefragt

Der ausbleibende Erfolg in Valencia kann Martin Whitmarsh die Vorfreude auf die spanischen Hafenstadt nicht verderben: "Es ist ein faszinierender Kontrast zwischen Tradition und Moderne. Damit der perfekte Ort für die Formel 1", so der Teamchef, der das Rennen als "schon immer sehr hart" bezeichnet. Da wird auch 2012 keine Ausnahme bilden, glaubt Hamilton: "Eine knifflige, sehr technische Strecke. Sie erfordert eine Menge Traktion und Präzision", meint der WM-Führende.

Die Bahn in Valencia zeichnet sich neben starker Beanspruchung der Bremsen dadurch aus, dass sie mit ihren schnellsten Abschnitte am Ende aufwartet. Für Vollblutracer Hamilton ein gefundenes Fressen: "Das ist der lohnendste Teil", bemerkt er. Überhaupt scheint der Weltmeister von 2008 gewillt, nach dem Platzen seines persönlichen Knotens in Montreal auf der Siegerstraße zu bleiben: "Es war ein sehr befriedigender Moment, aber er zählt für die WM wenig", weiss Hamilton.

Druck auf Button enorm

Dafür nennt er zwei Gründe: Erstens sei Fernando Alonso nur zwei Zähler hinter ihm platziert und damit weiter eine unmittelbare Gefahr. Zweitens seien die Rennen in der laufenden Saison so intensiv, dass der Druck trotz eines gewonnen Grand Prix enorm hoch sei. "Es gibt kaum Luft zum Atmen. Beständigkeit ist der Schlüssel zum Erfolg und wir müssen in Valencia unbedingt nachlegen", insistiert Hamilton, dem im Gesamtklassement auch die Red-Bull-Piloten im Nacken sitzen.

Gemessen an dieser Aussage müsste Button vor lauter Druck schon längst an einem Beatmungsgerät hängen. Denn für den Mann aus Frome läuft es schon seit Monaten nicht mehr rund, in den vergangenen vier Rennen gab es nur zwei WM-Punkte. "Kanada war wieder eines dieser Wochenenden", pustet Button die Backen auf und hofft auf die Freien Trainings. "Ich brauche freitags unbedingt mehr Zeit auf der Strecke, um das richtige Setup zu finden."

Schlacht um kleine Punkte

Über die Ursachen für die Formschwäche brütete Button zuletzt mit seinen Ingenieuren Woking, die Arbeit bezeichnet er als "extrem produktiv." Sie hätten eine Menge aufgeholt, betont der 32-Jährige. "Es gibt noch immer 13 Rennen und ich kann mich mit einem guten Resultat zurück in den Titelkampf bringen", erklärt Button. In Anbetracht von Rang acht und eines Rückstandes von 43 Punkten auf Hamilton im Gesamtklassement mehr als eine Herkulesaufgabe.

Whitmarsh will kleine Schritte gehen: "Wie immer versuchen wir, von Rennen zu Rennen bei der Rundenzeit eine Zehntelsekunde zu gewinnen. Das klingt marginal, könnte aber zwischen Sieg und Niederlage im Kampf um die WM entscheiden", weiss der Teamchef. "Es ist durchaus möglich, dass der Weltmeister in dieser Saison nur zwei oder drei Einzelsiege einfährt. Die kleinen Punkte könnten die Schlacht entscheiden."

Buttons Formtief - welche Rolle spielt die FIA?


Nach dem Saisonauftakt in Australien sprach vieles dafür, dass es die Saison von Jenson Button werden könnte. Der McLaren-Pilot hatte die Konkurrenz im Griff und fuhr in beeindruckender Manier seinen ersten Saisonsieg ein. Teamkollege Lewis Hamilton unterstrich mit seiner Pole-Position und seinem dritten Platz in Melbourne die Überlegenheit des britischen Rennstalls.

Beim zweiten Rennen in Malaysia bildeten Hamilton und Button die erste Startreihe, die sie im Rennen aufgrund der teils chaotischen Verhältnisse nicht in etwas ähnlich positives ummünzen konnten. In Schanghai folgte dann mit den Plätzen zwei und drei eine doppelte Podiumsplatzierung hinter Überraschungssieger Nico Rosberg. Nach besagten drei Rennen führte McLaren überlegen mit 24 Punkten Vorsprung die Teamwertung an, Hamilton und Button waren das Spitzenduo der Fahrer-Weltmeisterschaft. Anschließend folgte jedoch ein stetiges Auf und Ab, speziell was Button anbelangt. Denn während Markenkollege Hamilton bei bislang allen sieben Grands Prix in die Punkte fuhr, gelang dies Button gerade einmal bei drei. Er hat mit 45 Punkten nur knapp halb so viele gesammelt wie Hamilton (88), der nach seinem Sieg in Kanada die WM anführt.

Unterbodenänderung ursächlich für Buttons Leistungseinbruch?

Berichten des Fachmagazins 'auto, motor und sport' zufolge könnten Umbaumassnahmen am Unterboden des McLaren MP4-27 der Grund für den Leistungseinbruch Jenson Buttons nach dem Rennen in Schanghai sein. Diese wurden notwendig, nachdem die technischen Kommissare der FIA eine Regelwidrigkeit ausgemacht hatten. McLaren hatte die vordere Kufe des Unterbodens drei Millimeter weiter nach oben gebogen als erlaubt. Die Briten gingen davon aus, dass dies im Rahmen der Toleranz sei, die FIA widersprach hingegen. Der Effekt dieser drei Millimeter schien enorm zu sein, durch die aufgebogene Kufe verstärkte sich die Anstellung des Autos. Im Klartext: Aufgrund des langen Hebels zwischen der Vorderseite des Unterbodens und der Front des Autos senkte sich der Frontflügel um einige Zentimeter näher Richtung Strasse. Dadurch erhöhte sich der Druck auf die Vorderreifen, die dadurch wiederum schneller auf Temperatur kamen und besser funktionierten.

Neuerungen sollen Abwärtstrend entgegenwirken

Infolge des Verbots durch die FIA - der Verband hatte aufgrund von Kratzspuren an der Unterseite des Frontflügels in Melbourne bereits Verdacht geschöpft - modifizierte McLaren seinen Boliden, um dem Abwärtstrend entgegenzuwirken. In Barcelona führte man eine neue Nase ein, die vier Zentimeter höher war als die alte. Man versprach sich davon den Effekt, die Luft effizienter unter dem Auto durchströmen zu lassen, was mehr mechanischen Abtrieb durch einen besser angeblasenen Diffusor liefern soll. In Montreal setzte man zudem eine neue Hinterachse ein, welche die Traktion und somit auch den Umgang mit den Pirelli-Reifen verbessern sollte. Besagte Neuerungen hatten zumindest bei Jenson Button, der sich wieder für die Verwendung der alten Hinterachse entschied, keinen durchschlagenden Erfolg. Offiziell macht McLaren die derzeitige Reifensituation für die schwankenden Leistungen verantwortlich, was jedoch als Grund angezweifelt werden darf, kam man doch bis Bahrain mit den Pirellis offenbar gut zurecht. Auffällig ist zudem, dass der Leistungseinbruch genau nach dem Verbot der gebogenen Unterboden-Kufe einsetzte.

Neuartiger Bremsentrick bringt Reifen auf Temperatur

Der Vorteil, den man offenbar durch die gebogene Kufe im Unterboden hatte, fiel also relativ früh in der Saison weg. Doch McLaren hat sich bereits etwas neues einfallen lassen: Man setzt seit Montreal auf ein neuartiges System, bei dem die hohen Temperaturen, die beim Bremsen entstehen, zum Aufheizen der Hinterreifen genutzt werden. Die heiße Luft wird von den Bremsscheiben durch Löcher zu den Reifen geleitet, deren Temperatur dadurch zunimmt, was die Gummis wiederum schneller auf ihre Betriebstemperatur bringt.

Einziges Manko an diesem System: Der Fahrer kann die Grösse der Bremsöffnungen nicht während der Fahrt regulieren, wodurch die Reifen schnell überhitzen können. Doch da hat man sich bei McLaren ebenfalls etwas einfallen lassen: Während des Boxenstopps kann der Mechaniker mit einem Schraubendreher die Grösse der Lufteinlässe an den Bremsen an einer Schraube hinter dem Cockpit in Höhe der Airbox vergrössern oder verkleinern, womit man zumindest eingeschränkt auf plötzlich steigende oder sinkende Reifentemperaturen reagieren kann.

Wenn zum Beispiel ein Fahrer in ein Rennen startet, wäre es ratsam, die Öffnungen klein einzustellen, damit die Reifen schneller auf Temperatur kommen. Im weiteren Rennverlauf, wenn in der Regel die Reifen geschont werden müssen, könnte man bei den Boxenstopps die Öffnungen dann größer einstellen, damit die Bremsen besser gekühlt und die Reifen dadurch geschont werden. Der Fahrer muss seinen Fahrstil allerdings dann anpassen, weil die Hinterreifen sonst durch zu starkes Rutschen stark abbauen könnten.

Button: Dank Hamiltons Setup aus der Krise?


War es in der Saison 2011 noch Lewis Hamilton, der im McLaren-Team eine Formkrise durchlief, so ist es im laufenden Rennjahr Jenson Button. Nach seinem Sieg bei Saisonauftakt in Melbourne lief beim Weltmeister des Jahres 2009 nicht mehr viel zusammen. In Schanghai sprang noch ein zweiter Platz heraus, doch bei den übrigen fünf Rennen holte der amtierende Vizeweltmeister in Summe mickrige zwei WM-Zähler.

Ausgerechnet die Pirelli-Reifen sind in diesem Jahr die Achillesferse von "Reifenflüsterer" Button. In Montreal wurde der Brite nach drei Boxenstopps auf dem Weg zu einem enttäuschenden 16. Platz gar von Teamkollege Hamilton, der mit den Reifen weitaus weniger Probleme hat, überrundet. Die Reifen allein beziehungsweise das Zusammenspiel dieser mit dem McLaren-Mercedes MP4/27 können jedoch kaum als einzige Ursache für Buttons Probleme herhalten. Hamilton, der einen weitaus aggressiveren Fahrstil pflegt, beweist mit identischem Material, dass der 2012er-McLaren nach wie vor siegfähig ist. Es liegt der Verdacht nahe, dass das Verbot des abgasangeströmten Diffusors Button alles andere als in die Karten spielt, da die Autos seither mehr zum Übersteuern tendieren.

Im Bemühen, seine Schwierigkeiten zu kurieren wird Button beim anstehenden Grand Prix von Europa in Valencia (22. bis 24. Juni) erstmals mit dem Setup von Hamilton starten. Ausgehend davon will der letztjährige WM-Zweite Veränderungen vornehmen, da ihm schon jetzt schwant, dass er mit den Einstellungen seines Teamkollegen nicht an dessen Tempo herankommen wird. "Ich habe mich mit den Ingenieuren unterhalten und wir haben ein paar Ideen für das anstehende Rennen", wird Button von 'Autosport' zitiert. "Das erste was wir tun werden ist, das Auto exakt so abzustimmen wie das andere", sagt er und fügt mit Blick auf den aggressiveren Fahrstil Hamiltons hinzu: "Da werden Einstellungen dabei sein, die Lewis eher liegen. Ich werde damit nicht so schnell sein wie er, aber ausgehend davon finden wir hoffentlich ein Setup, das für mich funktioniert."

Button: Mit den 2012er-Autos auf Kriegsfuss?


Jenson Button hat in seiner Karriere schon viel erlebt: das überraschende Aus bei Williams, den Konflikt mit Flavio Briatore, das Vertragschaos bei BAR oder das Beinahe-Karriereende bei Honda, ehe er mit Brawn aus dem Nichts Weltmeister wurde. Doch die aktuelle Ratlosigkeit bei McLaren zählt definitiv zu den Tiefpunkten in seiner Laufbahn. Zumal sie genau so unerwartet kam wie der WM-Triumph 2009, denn Button war 2012 als Titelkandidat in die Saison gestartet.

In den vergangenen vier Rennen hat Button gerade mal zwei mickrige WM-Punkte an Land gezogen und war alles andere als konkurrenzfähig, während Teamkollege Lewis Hamilton mit einem furiosen Sieg in Kanada die Führung in der Gesamtwertung an sich riss. Und das in einer Saison, in der der Umgang mit den Reifen - eigentlich Buttons Spezialgebiet - wichtiger scheint als je zuvor.

Button: Psyche leidet nicht unter Krise

"Ich verstehe das nicht", gibt Button gegenüber dem 'Guardian' seine Ratlosigkeit wegen der rasch abbauenden Reifen offen zu. "Wir müssen herausfinden, wo das Problem liegt, denn in den 12 Jahren meiner bisherigen Karriere war ich dabei immer ziemlich gut." Vor allem mental muss die aktuelle Lage für den Briten herausfordernd sein, denn nach dem Sieg beim Auftakt in Melbourne war er für viele der logische WM-Tipp. Doch seine enorme Erfahrung und die Achterbahnfahrt seiner bisherigen Karriere helfen ihm dabei, mit der Krise bei McLaren zurecht zu kommen. "Mental ist das kein Problem für mich, denn ich weiss nach wie vor, wie man ein Rennauto fährt", sagt er. "Ich werde jetzt keinen Urlaub nehmen. Ich fahre mir das Herz aus dem Leib, aber irgendetwas läuft nicht zu meinen Gunsten."

Passen die aktuellen Autos nicht zu Buttons Fahrstil?

Fakt ist, dass Buttons Ruf als "Reifenflüsterer" nicht unbedingt darauf beruht, dass der Brite in allen Situationen das richtige Rezept für die Behandlung der Reifen hat. Vielmehr ist er ein Pilot, der besonders sorgsam mit den Pneus umgeht. Das kann aber auch zum Problem werden, wie man in seiner Weltmeistersaison 2009 gesehen hat, als der Brawn-Pilot oft während des Rennens Zick-Zack fahren musste, um die Reifen auf die richtige Temperatur zu bringen. Dazu kommt, dass der aktuelle McLaren ein übersteuerndes Auto ist, was unter anderem auf das Verbot des abgasangeblasenen Diffusors zurückzuführen ist. Mit dieser Charakteristik kommt Teamkollege Hamilton deutlich besser zurecht als Button. Zur Erinnerung: Selbst in seinem Titeljahr 2009 kam der Brite in den Genuss des Doppeldiffusors, der bei seinem Boliden eine stabile Heckpartie gewährleistete - der abgasangeblasene Diffusor hatte einen ähnlichen Effekt. Durch das Verbot wurden die Autos unruhiger - und der derzeit schwächelnde McLaren-Fahrer gab gegenüber 'Sky' vor einigen Wochen zu, dass dies für seinen Fahrstil eher ein Nachteil ist. Denn während es aggressive Fahrer angesichts ihres Fahrstils gewohnt sind, mit einem rutschenden Auto durch die Kurven zu rasen, ist dies nicht Teil von Buttons Kurventechnik. "Du hast ein Problem, wenn du Unter- oder Übersteuern bekommst, denn das Rutschen ist dann ungewohntes Terrain", bestätigt er. "Die aggressiven Fahrer mögen das Rutschen und fühlen sich damit sehr wohl, andere kommen damit gar nicht klar."

Ehe zwischen McLaren und Button auf dem Prüfstand

Die katastrophale Leistung in Montreal sollte Button aber rasch abhaken, denn sie war auch ein Resultat des verpatzten Freitags, als er wegen technischer Probleme kaum zum Fahren gekommen war. Und wenn man ohnehin schon in Problemen steckt, dann ist ein derartiger Rückschlag nicht gerade hilfreich. Ein weiterer Hoffnungsschimmer ist der tolle Sieg in Melbourne, der bewiesen hat, dass die aktuelle Fahrzeuggeneration und Buttons Fahrstil nicht grundsätzlich im Widerspruch zueinander stehen.

Eines ist klar: Die aktuelle Krise Buttons wird beweisen, ob es sich bei seinen Aussagen im vergangenen Jahr, wie wohl er sich bei McLaren fühle, um wahres gegenseitiges Vertrauen oder bloss um Lippenbekenntnisse handelte. "Niemand zeigt mit dem Finger auf den anderen", schildert er in Kanada, dass der Zusammenhalt nach wie vor passt. "Das spricht für das Team und für mich. Jetzt müssen wir uns hinsetzen und die Probleme finden. Jedes Mal, wenn ich den Helm aufsetze und ins Auto einsteige, bin ich zuversichtlich, dass wir die Probleme gelöst haben und ich um den Sieg kämpfen kann. Es ist nicht so, dass ich mir denke, schon wieder das gleiche." Button macht seiner Mannschaft Mut und übt sich in Durchhalteparolen: "Wir werden es herausfinden, denn es handelt sich um ein grosses Team, das viele Rennen und Weltmeisterschaften gewonnen hat - wir haben viele grossartige Rennen gemeinsam gewonnen. Ich werde die Probleme lösen - oder besser gesagt: Wir werden die Probleme gemeinsam lösen."

Button im freien Fall: Es wird immer schlimmer


Nach dem Qualifying in Montreal, bei dem Jenson Button nur auf den zehnten Platz fuhr, sagte der Brite: "Viel schlimmer kann es nicht mehr werden." Doch 24 Stunden später musste der Weltmeister von 2009 seine Meinung revidieren. "Es war schrecklich. Es scheint immer schlimmer zu werden." Nach drei Boxenstopps beendete Button den Grand Prix nur auf Platz 16. Statt um den Sieg zu kämpfen, duellierte sich der McLaren-Pilot mit den Toro Rosso und Caterham. Das Rennen in Montreal ist der vorläufige Höhepunkt eines dramatischen Absturzes.

Vor drei Monaten sah die Welt des Jenson Button noch völlig anders aus. Der 32-Jährige siegte bei Saisonauftakt in Melbourne. Nach einer Kollision im Regenrennen von Sepang blieb Button in Malaysia zwar ohne Punkte, meldete sich mit Platz zwei in China jedoch eindrucksvoll zurück. Doch seitdem läuft der Brite seiner Form mit immer größerem Abstand hinterher. Seit Mitte April gewann Button ganze zwei WM-Punkte, in der Gesamtwertung liegt er mit einem Rückstand von 43 Punkten auf seinen Teamkollegen Lewis Hamilton abgeschlagen auf Rang acht. Was ist also los mit Button? In Kanada waren die Probleme offensichtlich. "Wir hatten einfach keine Geschwindigkeit. Ich konnte die Reifen nicht schonen und sie bauten rasant schnell ab", erklärt Button die drei Boxenstopps. Doch trotz mehrere Reifenwechsel war der 32-Jährige wesentlich langsamer als die Konkurrenz. "Ein solches Rennen hatte ich noch nie. Ich fuhr das Auto am Limit, war aber zwei Sekunden zu langsam. Das ist verwirrend", so Button.

McLaren stellt sich hinter Button

Sein Team war anschliessend sehr darum bemüht, seinen Fahrer in Schutz zu nehmen. "Er hat die Hinterreifen hart rangenommen, weil wir am Freitag ein bestimmtes Setup der Hinterradaufhängung nicht testen konnten. Das war unser Fehler. Wir waren nicht dazu in der Lage, ihm ein gutes Rennauto zu geben", sagt Teamchef Martin Whitmarsh. Auch Sportdirektor Sam Michael machte Button keinen Vorwurf. "Als Team haben wir ihm nicht gerade geholfen, vor allem durch das Problem mit dem Getriebe am Freitag", sagt der Australier bei 'Sky Sports F1'. Wegen eines Öllecks am Getriebe hatte Button am Freitag wertvolle Abstimmungszeit verloren. "Wir sind mit dem Setup in eine völlig andere Richtung gegangen, konnten aber nicht genügend Longruns fahren. Das hat ihn gestern beeinträchtigt", so Michael. "Wenn wir all dies Problem mit dem Getriebe und im Qualifying nicht gehabt hätten, und er dann in dieser Position wäre, müssten er sich Sorgen machen", beschwichtigt Michael. "Aber er weiss: Wenn all diese Dinge funktionieren, sind wir vorne." Damit wären zwar die schlechte Traktion und die stark abbauenden Hinterreifen in Montreal erklärt, doch Buttons Probleme bestehen nicht erst seit diesem Wochenende. In Barcelona und Monaco verpasste er den Einzug in Q3, in Montreal gelang ihm dies nur, indem er früh sämtliche weichen Reifen verbrauchte.

Verursacht ein Update die Krise?

Es scheint also ein grundsätzliches Problem mit seinem Auto vorzuliegen. Davon geht mittlerweile auch Button selbst aus. "Wir müssen das Auto einmal auseinandernehmen und schauen, ob sich dadurch eine Verbesserung einstellt. Ich verstehe einfach nicht, was wir tun können. Nach zwei Runden dachte ich nur: 'Oh je.' Wir haben nun schon ein paar Wochen mit diesem Problem zu kämpfen. Wir sind der Sache aber noch immer auf der Spur." Michael, der als ehemaliger Technischer Direktor des Williams-Teams auch für technische Fragen ein kompetenter Ansprechpartner ist, vermutet, dass der MP4-27 eher dem Fahrstil von Hamilton entgegenkommt. "Bei diesem Auto haben wir manchmal etwas weniger Grip an der Hinterachse, damit kommt Lewis besser zurecht." Der Australier verweist zudem darauf, dass sich in dieser Saison gering Zeitunterschiede in den Ergebnislisten dramatisch auswirken. "Jenson ist manchmal 0,3 Sekunden hinter Lewis. Früher hätte das ein oder zwei Plätze ausgemacht, heute sind es zehn Plätze." Da Button jedoch in den ersten Rennen mit seinem Auto hervorragend zurechtkam, hält sich im Fahrerlager die Vermutung, dass eine technische Neuerung am MP4-27 die Probleme verursacht. Hinter vorgehaltener Hand wird aus dem Umfeld Buttons berichtet, dass ein Update am McLaren nicht mit seinem Fahrstil harmoniert. Dabei soll es sich um ein elektrisch betriebenes System handeln, welches einen Einfluss auf die Mechanik, mutmasslich die Vorderradaufhängung hat, wodurch Button kein Feedback der Vorderräder spürt. Andere Quellen vermuten eine Neuerung im Bereich der Bremsbelüftung, doch auch dies ist derzeit nur Spekulation. Es könnte jedoch die Schwierigkeiten bei der Abstimmung des Fahrzeugs erklären, die sich vor allem im Qualifying bemerkbar machen, wo Button in den vergangenen Rennen stets deutlich langsamer als Hamilton war.

Wann kommt die Wende?

Im Team bemüht man sich jedoch um Optimismus und stärkt seinem Fahrer den Rücken. "Es ist nichts, worüber wir uns langfristig Sorgen machen müssen, aber es ist heute eine Enttäuschung. Jenson ist ein grossartiger Rennfahrer. Er wird den Kopf nicht hängen lassen und könnte der erste Fahrer sein, der diese Saison ein zweites Mal gewinnt", ist sich Whitmarsh sicher. "Jenson ist immer noch der gleiche Fahrer wie beim Saisonauftakt. Er weiss, wie man im Rennauto gewinnt", bestätigt der ehemalige Teamchef Ron Dennis bei 'Sky Sports F1'. "Wir haben daher keine Zweifel, dass Jenson die Kurve bekommen wird, ob nun beim nächsten Rennen oder später", stimmt auch Michael in den Motivationschor ein. "Wir unterstützen ihn zu 100 Prozent, und er wird bald wieder an der Spitze sein. Niemand will das mehr, als er selbst." Sorgen, dass sich die Misserfolge negativ auf Buttons Selbstvertrauen auswirken, hat der Sportdirektor nicht. "Jenson ist ein positiver Mensch, der sich nie hängen lässt. Er ist nicht glücklich, aber das würde ich auch nicht von ihm erwarten. Sein Umfeld unterstützt ihn grossartig."

"Das war vermutlich eines meiner schlechtesten Rennen in vielen, vielen Jahren", sagt Button nach dem Rennen. "Es ist aber nicht so, dass es mir an Selbstvertrauen fehlen würde oder dass ich nicht genug Druck machen würde." Sein Kampfgeist ist ungebrochen, wie auch die folgende Nachricht bei 'Twitter' zeigt. "Es waren ein paar harte Rennen, aber ich werde nie aufgeben und immer weiter kämpfen."

17.6.2012