Rote Flagge: Macht es sich Formel 1 zu einfach?

Die rote Flagge im Qualifying war im Fahrerlager

nicht unumstritten

Der immer stärker werdende Regen sorgte im Qualifying von Silverstone für steigende Spannung, mit der es jedoch 6:19 Minuten vor dem Ende von Q2 erst einmal vorbei war. Nachdem sich unter anderem Sebastian Vettel und Lewis Hamilton am Funk über die unfahrbaren Bedingungen beklagt hatten, folgte Rennleiter Charlie Whiting dieser Einschätzung und unterbrach das Qualifying mit der roten Flagge. Zweifelsohne waren die Bedingungen durch das steigende Wasser auf der Strecke grenzwertig, doch war die Unterbrechung wirklich notwendig?

Für Einige im Fahrerlager war die Antwort auf diese Frage eindeutig. "Ja, definitiv", sagt Lotus-Teamchef Eric Boullier. "Das Wasser war an vielen Stellen so hoch, dass die Autos aufgeschwommen sind. Die Aquaplaning-Gefahr war akut. Man hat es gesehen, wie viele Dreher und Rutscher es gegeben hat. Es war nicht mehr zumutbar", stimmt Red-Bull-Motorsportchef Helmut Marko bei 'Sky' zu. Ähnlich äusserte sich beim gleichen TV-Sender auch der Teamchef der Bullen: "Es wurde unfahrbar. Deshalb holten wir unsere Fahrer herein. Das war es dann", beurteilt Christian Horner die Situation.

Für andere Teamverantwortliche war die Angelegenheit jedoch weit weniger klar. "Eine schwierige Frage", gibt McLaren-Technikchef Paddy Lowe zu. "Die Sicherheit spielt natürlich die Hauptrolle bei diesen Überlegungen. Wenn wir es mit dem zweiten Freien Training vergleichen, dann wurde es in Q2 so schlimm, dass wir im Training nicht mehr gefahren wären. Es wurde zu gefährlich. Du musst unterm Strich auf der sicheren Seite sein", so Lowe, der jedoch zu bedenken gibt: "Andererseits darf es nicht zu einfach werden. Es ist halt die Formel 1. Das ist eine schwierige Balance."

Anderson: Rote Flagge war falsch

Einer der wenigen, der die Entscheidung der Rennleitung offen angriff, war Gary Anderson. "Ich halte die rote Flagge für falsch", sagt der TV-Experte bei der 'BBC'. "Die Bedingungen wurden schlechter, doch wir haben eine Session, die 15 Minuten dauert. Es geht darum, innerhalb dieser Zeit die besten Entscheidungen zu treffen", gibt der ehemalige Jordan-Konstrukteur zu bedenken. "Ferrari traf eine falsche Entscheidung bei den Reifen. Sie sollten den Preis dafür bezahlen", fordert Anderson. In der Tat gehörten Fernando Alonso und Felipe Masse zu den grossen Gewinnern der roten Flagge. Nachdem sie zu Beginn von Q2 im Gegensatz zur Konkurrenz mit den Intemediates gefahren waren, lagen beide nur auf den Positionen 15 und 16. Der zunehmende Regen hätte auch auf Regenreifen eine Verbesserung der Zeit unmöglich gemacht. Ohne die Unterbrechung wären beide Piloten im Q2 gestrandet. So verbesserten beide nach der Unterbrechung ihre Zeit und letztlich fuhr Alonso auf die Pole-Position. Nach Valencia, wo Alonso zumindest nach Meinung von Vettel durch die Safety-Car-Phase bevorteilt wurde, profitierte der Spanier erneut von einer Entscheidung der Rennleitung. Das entging auch den Konkurrenten nicht. "Ich glaube, ein paar Fahrer waren ziemlich clever, als sie nicht die richtigen Reifen am Auto hatten. Sie haben eine gute Möglichkeit verpasst und haben sich vielleicht beschwert, als sie nicht mit den passenden Reifen unterwegs waren", sagt Hamilton. "Zu diesem Zeitpunkt lagen einige Fahrer weiter hinten. Sie dürfen sich glücklich schätzen, dass die Sitzung noch einmal aufgenommen wurde."

Im Zweifel geht Sicherheit vor

Andere Fahrer wurden hingegen durch die rote Flagge regelrecht bestraft. So fiel Sergio Perez, der vor der Unterbrechung klar die Zeitenliste angeführt hatte, nach dem Neustart, als die Bedingungen deutlich besser waren, weit zurück und verpasste den Einzug in Q3. Für TV-Experte Anderson ein Unding. "Sie wurden davon beeinträchtigt und das ist nicht richtig. Die Boxengasse ist immer offen. Wenn du nicht fahren willst, dann komm herein", legt der Brite die Entscheidung, ob man fahren kann oder nicht, in die Hände der Piloten. "Diese Rotphase brauchte es nicht", so seine unumstößliche Meinung. Martin Whitmarsh appelliert hingegen um Verständnis für die Rennleitung. "Man muss anerkennen, dass Charlie eine schwierige Aufgabe hat. Wenn er hört, dass sich einige Fahrer über die Bedingungen beklagen, dann muss er reagieren, denke ich", so der McLaren-Teamchef. Das sieht auch Marko so: "Wir geben die Kommentare der Fahrer weiter und Charlie Whiting hört sich das an. Wenn die Mehrheit ähnliche Kommentare abgibt, dann muss er reagieren und abbrechen", so der Österreicher. Letztlich hätte sich Whiting für den Fall, dass während des Starkregens ein schwerer Unfall geschehen wäre, wohl auch Kritik anhören müssen. Allerdings erkennt auch Whitmarsh, dass die rote Flagge einigen Fahrern recht gelegen kam. "Manche Autos waren zu diesem Zeitpunkt auf den falschen Reifen unterwegs. Diese Fahrzeuge haben natürlich von der Unterbrechung profitiert." Doch auch der McLaren-Teamchef erkennt an, dass im Zweifelsfall zugunsten der Sicherheit entschieden werden müsse: "Charlie trägt die Verantwortung, die Sicherheit zu überwachen. Es ist eine schwierige Entscheidung. TV-Sender sitzen ihm im Kreuz und er ist vielleicht versucht, alles noch ein paar Minuten länger laufen zu lassen." Alles in allem ist Whitmarsh jedoch der Meinung: "Er musste tun, was er schliesslich auch tat." Sein Technikchef Lowe fragt sich lediglich, ob Whiting mit dem Neustart nicht zu lange gewartet habe: "Als die Fahrer 2:00 Minuten für ihre Runde brauchten, wurde die Entscheidung getroffen, die rote Flagge zu zeigen. Als das Qualifying wieder freigegeben wurde, erreichten die Fahrer 1:54 Minuten oder dergleichen. Ich habe mich da gefragt, ob man nicht schon etwas eher wieder hätte fahren können."

8.7.2012