Ferrari der befürchtete Flop

Fernando Alonso hält nichts davon, seinem Team

Vorwürfe zu machen

Ferrari schwante schon vor dem heutigen Qualifying zum Grand Prix von Australien in Melbourne Böses: "Kein Grund, die Wahrheit zu leugnen: Es wird hart", kündigte die Scuderia via Twitter an. Die Plätze 16 und 18 im abschliessenden Freien Training, in dem sich das neue Kräfteverhältnis erstmals ein wenig offenbarte, hatten nichts Gutes verheissen.

Und so kam es dann tatsächlich faustdick: Während Fernando Alonso die Schwächen des F2012 mit seiner fahrerischen Extraklasse noch einigermassen kaschieren konnte, obwohl er noch aggressiver am Lenkrad sägen musste als sonst, geriet Felipe Massa schon im ersten Qualifying in Schwierigkeiten. Der Brasilianer lag lange in der Gefahrenzone, zitterte sich dann aber doch noch auf den rettenden 17. Platz - 0,125 Sekunden vor seinem ehemaligen Ferrari-Teamkollegen Kimi Räikkönen.

Werksteam sogar von Toro Rosso geschlagen

Schon in Q2 war dann für beide Endstation: Massa, der sich das ganze Wochenende nicht mit Ruhm bekleckert hatte, belegte effektiv den letzten Platz (Sergio Perez fuhr keine gezeitete Runde), und Alonso trieb es mit der Brechstange zu weit, sodass er sich im Kiesbett der ersten Kurve eingrub. Unterm Strich bleiben die Startplätze zwölf und 16 stehen. Besonders bitter die Erkenntnis von Q1, als Alonso sogar auf die Motorenkunden Sauber und Toro Rosso eine halbe Sekunde verlor... "Ferraris Performance ist sogar noch schlechter als während der Tests", findet Technik-Experte Gary Anderson. "Das Problem ist die Aerodynamik. Sie müssen einen Schritt zurück machen und sich das Aerodynamik-Basispaket anschauen. Sie haben ein aggressives Design angekündigt, aber dafür musst du gute Gründe haben. Mir scheint, den Zug haben sie verpasst. Mit ihrer Vorderradaufhängung funktionieren die Vorderreifen auch nicht richtig, aber es gibt sicher nicht nur ein Problem."

Ferrari ist nun gezwungen, schnell zu reagieren, denn Präsident Luca di Montezemolo dürfte über diesen Saisonstart alles andere als glücklich sein. Wer das Temperament des Italieners kennt, der weiss, dass er heute Morgen sicher nicht gemütlich in seinem Ledersessel sass, sondern vor dem Fernseher stand und tobte - und vielleicht gleich zum Hörer griff, um dem ohnehin enorm unter Druck stehenden Teamchef Stefano Domenicali die Leviten zu lesen.

Domenicali bittet Fans um Geduld

"Alle haben auf diese Stunde Qualifying gewartet, um das Kräfteverhältnis endlich zu ergründen", gibt Domenicali geknickt zu Protokoll. "Wir wussten, dass es für uns ein schwieriger Auftakt wird, und genau so ist es leider gekommen. Ich verstehe, dass unsere Fans enttäuscht sind, aber ich bitte sie um Besonnenheit, bevor sie sich ein endgültiges Urteil bilden, so als wäre schon alles vorbei. Wir müssen jetzt ruhig und konzentriert bleiben. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns und unseren Ingenieuren ist das klar - es war ihnen sogar schon klar, bevor sie in den Flieger nach Melbourne gestiegen sind", fährt der Italiener fort. "Es ist aber eine lange Saison, genau wie auch das morgige Rennen lang und hart wird. Angesichts unserer Startpositionen muss das realistische Ziel sein, mit beiden Autos in die Punkte zu fahren. Dafür werden wir wie üblich unser Bestes geben. Über das Qualifying können wir nur enttäuscht sein", gesteht Domenicali. "Es tut weh, keinen der beiden Fahrer im letzten Abschnitt zu haben, auch wenn wir wissen, dass Fernando das geschafft hätte, wenn ihm nicht der Ausritt dazwischen gekommen wäre - ein Zwischenfall, wie er einfach dazugehört. Felipe hatte schon seit dem Morgen Probleme mit der Balance. Wir müssen dahinterkommen, woran das liegt."

Massa kämpft mit der Balance

"Es war von Beginn des dritten Trainings an schwierig", berichtet Massa. "Die Balance war nie so, wie ich sie haben wollte, und ich schaffte es nie, eine saubere Runde hinzubekommen. Es mangelte mir immer an Haftung, sowohl auf dem Medium als auch auf den weichen Reifen. Ich litt am Kurveneingang an Über- und am Ausgang an Untersteuern. Ich weiß nicht warum, aber das Auto scheint schlechter zu sein als bei den Tests. Vielleicht liegt es an der Charakteristik dieser Strecke."

Alonso klammert sich nicht an diesen Strohhalm: "Heute hat es uns an Leistung gemangelt, besonders da wir nicht über ausreichend aerodynamischen Anpressdruck verfügen und es uns immer noch an Höchstgeschwindigkeit mangelt. Darauf müssen wir uns konzentrieren", analysiert er. "Wir sind einfach zu langsam. Wir müssen die Richtung rasch ändern, wenn wir um die Weltmeisterschaft kämpfen wollen. Wir müssen reagieren."

Zeitabstand theoretisch verringert

Immerhin kann er dem Ausgang etwas Positives abgewinnen: "Vergangenes Jahr waren wir im Qualifying 1,4 Sekunden von der Bestzeit entfernt, während es heute in Q2 eine Sekunde war. Man könnte also hypothetisch sagen, dass wir konkurrenzfähiger sind", mutmasst Alonso, vergisst aber, dass die Topteams in Q2 noch nicht ans Limit gehen. "Einige der anderen Teams haben grössere Fortschritte gemacht. Ich denke jedoch, dass wir jede Menge Raum für Verbesserungen haben."

Aber nicht sofort: "In Malaysia werden wir über dasselbe Auto verfügen, aus diesem Grund wird sich die Situation nicht stark verändern. Wir müssen einfach abwarten, wie das Auto dort zur Strecke passt", ergänzt er. "Es stimmt, dass es unser Ziel war, von Beginn an um den Sieg zu kämpfen. Das haben wir nicht geschafft. Aber es wird eine lange Saison und alles, was wir tun können, ist, an der Verbesserung der Leistung zu arbeiten. Es gibt keinen Grund wütend zu sein. Das wäre sinnlos." Seinen eigenen Patzer in Q2 trägt der 30-Jährige mit Fassung: "Ich kam beim Bremsen etwas auf das Gras, das Auto verselbstständigte sich und ich fand mich im Kies wieder. Ich habe es geschafft, den Motor am Laufen zu halten, und hoffte, dass die Streckenposten in der Lage sein würden, mich wieder zurück auf die Strecke zu schieben." Das war jedoch nicht der Fall, was Alonso mit einer säuerlichen Geste quittierte.

Vordere Startreihen außer Reichweite

"Ich bin meine Zeit auf gebrauchten weichen Reifen gefahren. Vielleicht hätte ich es mit einem neuen Satz in den dritten Durchgang schaffen können, aber ich wäre nicht in der Lage gewesen, um die vorderen Reihen zu kämpfen", gibt er zu. "Hoffentlich können wir aus der Tatsache, dass wir über vier neue Reifensätze verfügen, das Maximum machen. Morgen werden wir im Rennen defensiv fahren und versuchen, unser Bestmögliches zu geben."

Alonsos Chancen aus der sechsten Reihe sind deutlich grösser als jene von Massa in Reihe acht. Aber: "Wir werden alles versuchen und schauen, was wir morgen erreichen können", gibt sich der Brasilianer kämpferisch. "Es wird nicht einfach, denn ich werde von weit hinten starten, werde jedoch alles geben." Mit einer ungewöhnlichen Strategie? "Ich glaube nicht, dass wir in der Lage sein werden, lediglich einen Stopp zu machen", winkt er ab. Massa fehlten heute eineinhalb Sekunden auf die Q1-Bestzeit, nach hinten hatte er nur eine Sekunde Puffer zu Caterham. "Der beste Ferrari", ätzt Experte Marc Surer, "ist der Sauber." Massa streitet das gar nicht ab: "Es ist klar, dass wir hinten liegen - vielleicht deutlicher als erwartet. Es gibt andere Teams, welche sich im Vergleich zum vergangenen Jahr deutlich verbessert haben. Wir müssen daran arbeiten, die richtige Entwicklungsrichtung für das Auto zu finden."

Fry: Härter arbeiten als je zuvor

"Es lässt sich nicht leugnen, dass das ein schwieriges Qualifying war", ergänzt Technikchef Pat Fry. "Mit Fernando hätten wir relativ locker ins dritte Qualifying kommen können, denn er ist seine schnellste Runde mit gebrauchten Softs gefahren, aber mehr als die vierte Reihe wäre kaum drin gewesen. Felipe hatte Probleme mit der Balance. Jetzt haben wir eine Menge Arbeit vor uns, um seine Probleme für das Rennen auszusortieren. Hoffen wir, dass wir auf die Renndistanz besser aussehen. Wir wollen zumindest versuchen, die Tatsache zu nutzen, dass Fernando vier neue Reifensätze hat. Felipe hat übrigens zwei. Die Startpositionen sind, was sie sind, aber wir werden unser Bestes geben. Es ist ganz klar, dass wir so hart wie nie zuvor arbeiten müssen, um den F2012 schneller zu machen und zu versuchen, den Rückstand so gut es geht zu verringern", meint Fry abschliessend.

17.3.2012